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Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel

Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel

Titel: Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel
Autoren: Friedrich Ani
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weiter zu steigern, sagte ich: »Anna hat niemandem von ihrem Erlebnis erzählt.«
    Da Ferenz damit gerechnet hatte, dass ich weiterredete, brauchte er eine Weile, bis er meinen wieder auf die Grube gerichteten Blick bemerkte. »Genau. Was hätte Wild tun sollen? Er hat sie beobachtet. Wollte mit ihr sprechen, herausfinden, was in ihr vorgeht.« Wieder sah er mich eindringlich von der Seite an. »Der schwarze Mann auf dem Bild des Mädchens, das war er, was meinen Sie? Sicherlich.«
    Ich sagte: »Wir wissen es nicht. Anna hat viele Bilder nur in Schwarz gemalt, sie mochte die Farbe, sagt ihre Mutter. Wir werden nie erfahren, wer der schwarze Mann neben dem schwarzen Haus ist.«
    »Aber warum hat er sie umgebracht, wenn sie doch niemandem was erzählt hat?« Unwirsch schlug Ferenz gegen die Gardine und wandte sich dem Zimmer zu .
    »Stimmt das, Herr Süden, was Ihre Kollegen öffentlich verbreitet haben, nämlich, dass es im Auto zum Streit zwischen ihr und ihm gekommen ist und er in einer Art Reflex zugeschlagen und ihr dann den Mund zugehalten hat? Und dass er erst gemerkt hat, dass sie tot ist, als es zu spät war? Weil er außer sich war. Weil er außerhalb … jeglicher Vernunft war? Ist das so? Sagen Sie mir, was Sie wissen, nichts von unserem Gespräch dringt nach draußen, das versprech ich Ihnen. Ich will begreifen, ich will endlich die Wahrheit wissen.«
    »So hat er es in seinem letzten Brief geschrieben«, sagte ich ohne zu zögern und drehte mich zu Ferenz um .
    »Er machte einen Krankenbesuch in der Prälat-Kremer-Straße, er stieg in seinen Wagen, und als er wegfahren wollte, bemerkte er das Mädchen, das auf dem Weg zum See war. Er sprach es vom Auto aus an, sie stieg ein, weil er mit ihr reden wollte, und es kam zum Streit. Wir haben nur seine Aussage, es gibt keine Zeugen, niemandem fiel der weiße Passat auf, es war nur ein Auto von hunderten, die an diesem Samstagnachmittag in der Nähe des Taginger Sees unterwegs waren. Pfarrer Wild wollte Anna unauffällig aushorchen, er hatte keine Ruhe mehr, er konnte an nichts anderes denken. Schon ein paar Mal hat er versucht, mit ihr zu sprechen, er hat sie auf dem Schulweg abgepasst. Aber immer redete er nur belanglos mit ihr, erkundigte sich nach ihren Noten, beobachtete nur ihr Verhalten. Vermutlich horchte er auf Zwischentöne, auf Anspielungen. Und an diesem Samstag sagte sie ihm ins Gesicht, sie wolle jetzt ihren Eltern erzählen, was sie im Pfarrhaus gesehen hat.«
    »Aber er konnte doch nicht wissen, dass Anna zu dem Zeitpunkt, als er in der Prälat-Kremer-Straße die alte kranke Frau besuchte, vorhatte, ihre Freundin am See zu treffen!«, sagte Ferenz und gestikulierte mit den Händen.
    »Nein«, sagte ich.
    »Er war schon fast auf dem Heimweg, als er sie gesehen hat.«
    »Ja.«
    »Es war also ein unglaublicher Zufall.«
    »Ja.«
    »Stimmt das, dass er mit ihr in den Wald gefahren ist und sie dort … erstickt hat?«
    »Das wissen Sie doch«, sagte ich. »Sie haben mit meinem Kollegen Marienfeld gesprochen, er hat Ihnen bestätigt, was in den Zeitungen stand.«
    »Und noch in derselben Nacht hat er sie da draußen vergraben?« Ferenz zog die Gardine beiseite und riss das Fenster auf. Warme, würzige Luft strömte herein. Ich hörte das leise Knistern des Plastikbandes. »Und Sie wollen mir einreden, seine Freundin hat nichts davon gewusst? Bitte beleidigen Sie mich nicht, Herr Süden!«
    »Ich beleidige Sie nicht«, sagte ich. »Frau Feininger wusste so wenig davon wie die Haushälterin. Haben Sie Frau Bergrain gefragt, ob sie etwas beobachtet hat?«
    »Selbstverständlich hab ich sie gefragt!« Er sog die Luft ein und verzog angewidert das Gesicht. »Sie war nicht zu Hause, sondern bei ihrer Schwester, deren Mann gerade verstorben war.«
    »Sie ist gegen ein Uhr nachts zurückgekommen«, sagte ich. »Der Enkel ihrer Schwester hat sie mit dem Auto gebracht.«
    »Hat der Enkel was bemerkt?«, fragte Ferenz abfällig .
    »Auch das steht in den Akten«, sagte ich. »Er hat die alte Dame abgesetzt und gewartet, bis sie im Haus war. Dann fuhr er weg. Ihm ist nichts Ungewöhnliches aufgefallen.«
    »Ist gut.« Ferenz schaute auf seine Uhr. »Ich hab gehofft, ich erfahr von Ihnen ein paar Details, die mir helfen, die Tragödie zu begreifen und zu verarbeiten. Schade.«
    Er ging zum Tisch, stützte sich mit beiden Händen ab und fuhr zu mir herum. »Und wirklich schlimm ist außerdem, dass er schwer krank war, er hatte ein Magengeschwür, trotzdem trank er.
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