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Süden und das verkehrte Kind

Süden und das verkehrte Kind

Titel: Süden und das verkehrte Kind
Autoren: Friedrich Ani
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nichts Falsches sagen, ich hab ein Bier getrunken…«
    »Sie waren im ›Bürgerbräu‹«, sagte ich. »Warum ist der Stammtisch heute ausgefallen?«
    »Der Peter ist krank, und der Torsten hat abgesagt.«
    »Warum hat er abgesagt?«
    »Warum? Weil er hat was vorgehabt.«
    »Was hat er vorgehabt?«
    »Was?« Belut trank wieder und keuchte. »Ich glaub, er wollt was mit seiner Tochter unternehmen, ja, er wollt mit der irgendwas machen.«
    »Was wollte er mit ihr unternehmen?«
    »Weiß ich doch nicht. Hab ich vergessen.«
    »Hat er öfter mit seiner Tochter was unternommen?«, sagte ich.
    »Nein. Weiß ich nicht. Nein. Und wenn, dann haben sie sich eh bloß gestritten.«
    »Wann wollte er sich mit ihr treffen?«
    »Ich bin doch nicht dem Torsten seine Sekretärin.«
    Ich sagte: »Wir sehen uns um sieben im Dezernat, Herr Belut.«
    »Halb acht wär mir lieber«, sagte er.
    »Einverstanden.«
    »Echt?«
    »Halb acht in der Bayerstraße.«
    »Was ist mit dem Mädchen? Ist die entführt worden oder was?«
    »Wir wissen noch gar nichts«, sagte ich. »Deswegen habe ich Sie aufgeweckt.«
    »Und? Wissen Sie jetzt mehr?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Dann hat sichs ja gelohnt.«
    In der Wohnung fragte ich Medy Kolb: »Wussten Sie, dass sich Ihr Mann heute mit Nastassja treffen wollte?«
    »Nein!«, sagte sie. »Wann denn?«
    Während unserer Abwesenheit hatte sie mindestens drei Gläser Wein getrunken. Danach schaffte sie es nicht mehr, zusammenhängende Sätze zu formulieren. Ich forderte sie auf, ins Bett zu gehen und ein paar Stunden zu schlafen, während Martin und ich uns auf die Couch und den Boden legen würden. Aber sie zögerte.
    »Gehen… nicht nach Hause?«, fragte sie.
    »Nein«, sagte ich.
    »Nicht verheiratet?«
    »Nein«, sagte ich. »Frau Kolb, möchten Sie uns noch etwas sagen?«
    Sie hatte angefangen, Haare um ihren Zeigefinger zu wickeln, und sie drehte den Finger wie ein nervöses Kind.
    »Entführt worden«, sagte sie.
    Weil wir nichts erwiderten – weder Martin, der mit ihr am Tisch saß, noch ich, der ich in der Nähe des Fensters stand –, zog sie die Stirn in Falten und verengte die Augen, genau wie ihr Sohn.
    »Entführt worden«, wiederholte sie. »Das glauben Sie…
    Wo denn… sonst? Jemand hat sie gekidnappt.«
    Bis zu diesem Moment hatte sie das Wort »Entführung« nicht einmal in einer Andeutung erwähnt. Was vielleicht nichts bedeutete. Vielleicht bedeutete es aber mehr, als wir befürchtet hatten.
    »Von wem entführt?«, sagte Martin.
    Sie zog den Finger aus ihrem Haar, ballte eine Faust und begann erneut mit dem Wickeln. Ich hatte den Eindruck, sie bemerkte es nicht einmal.
    Aus Fabians Zimmer war keine Musik mehr zu hören. In der Wohnung war es still.
    Wo hielt sich Torsten Kolb auf? Hatte er seine Tochter getroffen? War sie jetzt bei ihm? Wo?
    »Schläft Ihr Sohn schon?«, sagte ich.
    »Das hoff ich«, sagte Medy Kolb.
    »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich nachsehe?«
    Sie schüttelte den Kopf und zog mit einem heftigen Ruck den Finger aus den Haaren, als habe sie plötzlich ihre Spielerei bemerkt und schäme sich dafür.
    Auf mein leises Klopfen folgte keine Reaktion. »Hörst du mich, Fabian?«, sagte ich, den Mund nah an der Tür.
    Ich drückte die Klinke. Im Zimmer brannte Licht. Die Bettdecke war zurückgeschlagen. Überall, auf dem Boden, auf dem Sofa, auf dem Bett, lagen Hosen, T-Shirts, Socken, Bücher. Der Schreibtisch aus hellem Holz war übersät mit Schulheften, Comics, Stiften und Malblocks. Die Türen des Kleiderschranks, der aus dem gleichen Holz wie der Schreibtisch war, standen offen.
    Ich ging ins Zimmer und achtete darauf, auf kein Kleidungsstück zu treten. Das Fenster war angelehnt, ich öffnete es und sah hinaus. Das Zimmer lag zum Garten hin, das Fenster befand sich etwa einen Meter über der Erde.
    Schon als ich den Kopf durch die halb geöffnete Tür gestreckt hatte, wusste ich, was geschehen war.
    »Fabian ist weggelaufen«, sagte ich zu Medy Kolb. Sie drückte wieder die Fäuste gegen die Wangen.
    »Haben Sie mich verstanden, Frau Kolb?«, sagte ich. »Ihre beiden Kinder sind jetzt verschwunden.«
    »Er kommt doch wieder«, sagte sie, kaum hörbar.
    »Ist er schon öfter weggelaufen?«, sagte ich.
    »Oft schon«, sagte sie. »Schon so oft. Und immer wiedergekommen.«
    »Sie wussten, dass er weg ist«, sagte ich. »Sie haben ihn gehört, als mein Kollege und ich draußen waren.«
    »Nein«, sagte sie. »Nein. Nein.« Es war eine armselige Lüge.
    Im letzten
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