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Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Titel: Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs
Autoren: Andreas Altmann
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unfassbar viel Stuss.
    Da ich in Paris lebe, der Hauptstadt der Schwulen, bin ich auch über die Fundsachen der hiesigen Hardcore-Homophoben auf dem Laufenden. So fand kürzlich ein französischer Abgeordneter heraus, dass Homosexualität der Heterosexualität gegenüber minderwertig (»inférieur«) sei. Um also sofort klarzu stellen: Hier schreibt ein Höherwertiger, denn wie etwa neunzig Prozent der Bevölkerung finde ich Frauen schöner als Männer. (Eigentlich schade, träumte ich doch immer von einer Karriere als Bi.)
    Aber ich treibe mich gern bei den Schwulen herum. Aus verschiedenen Gründen. Laut demoskopischer Untersuchungen gelten sie als besser ausgebildet und gründlicher gewaschen, ja als intelligenter als wir, die langweilige Mehrheit. (Weil sie besser sein müssen , um sich gegen einschlägige Vorurteile durchzusetzen.) Ich höre das gern, denn die Anwesenheit von Hirn übt auf mich eine geradezu aphrodisierende Anziehungskraft aus. Deshalb mein Wohlwollen, mein entspannter Zustand in schwuler Nähe. Zudem sind die Minderwertigen weniger begabt zur Scheinheiligkeit, sie flackern weniger, sie zicken weniger mit ihrer Sexualität.
    Abstecher nach Amerika, in den Süden, in den bible belt , das Epicenter himmlischer Narreteien. Diesmal demonstrierten nicht die Homos gegen die Übergriffe der rechtschaffenen Heteros, diesmal marschierten die Rechtschaffenen gegen die »buggers«, die schwulen Säue, die ganz offensichtlich für das Elend der Welt verantwortlich waren. (Okay, die »hook noses«, die Juden, und die »Nigger« sind auch schuld, aber heute waren die fags dran, die Tunten.) Einer trug ein Kreuz auf seiner rechten Schulter, ein high-tech-cross , über dessen Querbalken eine rote Leuchtschrift lief: »Seid auf der Hut, kein Homosexueller wird je das Reich Gottes betreten, eher wird er ins Feuer der Hölle geschleudert.«
    Das war nicht schlecht, aber gelacht habe ich erst, als ich den ballondicken Fred im Pulk der Aufmarschierer entdeckte. Rosig, Baseballkappe, schwer schwitzend. Dennoch hielt er rabiat entschlossen den Todsündigen einen imposanten Pappkarton entgegen, Freds letzte Erkenntnis zu Fragen der Evolution des Menschengeschlechts: »God created Adam and Eve, but not Adam and Steve.«
    Zugegeben, nach dem Lachen war ich gerührt. Gerührt von so viel Einfalt, so viel himmelblöder Selbstzufriedenheit. Wie übersichtlich muss das Leben sein, wenn es mit ewig verlogenen Wahrheiten gefüttert wird. Doch, für Augenblicke beneidete ich Fred. Nicht für immer, aber für vierundzwanzig Stunden wäre ich gern nur er, würde gern für einen Tag und eine Nacht wissen, wie es sich anfühlt, keinen Zweifel zu hegen und stets unbelehrbar und blindwütig der Wirklichkeit auszuweichen, ja nie innehalten und nie Fragen stellen zu müssen. Eben happy und selbstgerecht wie ein Ochse. Nach dem Ochsenleben, am nächsten Morgen, würde ich gern wieder aufwachen und elegant und tonsicher ein Lied von André Heller anstimmen: »Und wenn ein Mann einen Mann liebt, soll er ihn lieben, wenn er ihn liebt, denn ich will, dass es das alles gibt, was es gibt.«

    EINMAL GEMETZEL, EINMAL LIEBE, EINMAL SCHONUNGSLOS
    Im Bus sitzen und quer über die Halbinsel Sinai fahren. Alles wäre gut gewesen, wenn der Fahrer nicht beschlossen hätte, uns auszulöschen. Denn er legte eine Videokassette mit einer orientalischen Familiensaga ein. Aufgeführt von einer Mannschaft hoch toupierter Geiferinnen und brusthaarentstellter Gatten. Und einem verschwiegenen Killer, der mit Hilfe eines Goliath-Messers die eigene Familie zu dezimieren versuchte. Er hatte sofort meine Sympathie. Irritierend nur, eingedenk des schweren Verkehrs, dass der Fahrer bei jedem Stechen nach oben zum Gerät schaute und beifällig nickte, Subtext: Ja, noch herrscht Gerechtigkeit!
    Irgendwann waren alle niedergestochen, die vom Volk geforderte Quote Gemetzelter schien erreicht, Stille. Ich schaute hinaus auf die Wüste und wurde jetzt – nach der Folter – mit einem wunderbaren Bild belohnt. Zwei Männer beteten auf einer Dünenkuppe, einer hinter dem anderen. Wie in weiße Segel blies der Wind auf ihre Galabeyas. Ein Bild makelloser Harmonie. Dazu der gelbe Himmel, der zuletzt blutete, so rot, so pathetisch wurde hier die Welt dunkel.
    Ankunft in Nuweiba, hier lag der Hafen, um nach Jordanien überzusetzen. Morgen. Ich suchte ein Café. Sieben Cafés mit sieben laut plärrenden Fernsehern standen zur Auswahl. Ich war hartnäckig und fand einen Ort, der
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