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Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Titel: Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs
Autoren: Andreas Altmann
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gleich drei außergewöhnliche Dinge bot. Einen stabilen Tisch, Ruhe und eine Story. Erzählt von Chalid, dem Restaurant-Besitzer: Nicht weit von hier lag das Dorf Mizena. Vor ein paar Jahren bemerkte ein taubstummer Junge einen Delfin, der sich immer wieder dem Ufer näherte. Eines Tages schwamm Abdullah hinaus und die beiden freundeten sich an. Dem Jungen gelang es, mit dem Tier zu kommunizieren. Und bald segelte das Kind auf dem Rücken seines Freundes hinaus. Tag für Tag.
    Nach dieser Liebesgeschichte kam eine ohne Liebe. Chalid brachte mir drei gebrauchte Reiseführer, vergessen oder dagelassen von durchreisender Kundschaft. Ich blätterte in einem englischen travel companion und las folgende Empfehlung für das Auftreten in fremden Ländern: »Some ruthless bargaining is necessary«, ein Spritzer rücksichtslosen Feilschens ist geboten. Wobei rücksichtslos die mildeste Übersetzung von ruthless schien. Andere wären schonungslos oder erbarmungslos . Unüberhörbar, hier sprach der weiße Mann, hier schrieb einer, dem seine Hintergedanken rausrutschten, hier traf einer unseren Umgangston mit der Welt.

    DIE ACHSE DER FETTEN
    Ein Forscher behauptete tatsächlich, dass an jedem 27. Dezember die Menschheit um Hunderte von Millionen Kilos schwerer sei. Da gemästet von Weihnachtsgänsen, Punsch und Schokoladen-Pudding. Da passt eine Meldung aus Adelaide, Australien. Die Busfahrer streiken, weil die Transport-Gesellschaft siebzehn Fahrer wegen Übergewicht entlassen hat. Die Arbeitgeber halten die Dicken für ein Sicherheitsrisiko. Die Sitze wurden für ein Gewicht von hundertdreißig Kilo konstruiert, aber alle siebzehn lagen schwer darüber. Den Kugelrunden zu sagen: »Fresst nicht so viel, sauft nicht so viel, bewegt euch mehr!«, das geht nicht, das hieße, eine Minderheit zu diskriminieren. Undenkbar. Selbstverständlich trat sofort die Gewerkschaft auf den Plan und forderte neue Sitze, extra stark geschweißt: für die Hundertfünfzig-Kilo-Fatties.
    Was lernen wir daraus? Nie aufhören, sich nach Ausreden umzuschauen! Inzwischen haben amerikanische Kinobesitzer – im Land der XXXL – ihre Sessel um fünf Inches verbreitert. Wie viel Popkorn musste gemampft werden, um es so weit kommen zu lassen? »Go large!«, sah ich auf einer Burger-King-Tüte in Atlanta gedruckt. Das muss man den Amis lassen, Humor haben sie.
    Und Ideen. Der Bürgermeister von Philadelphia ließ an vielen Hausecken der Stadt Waagen aufstellen. Damit die Bürger ihr Unglück nachmessen können. »On the spot.« Damit die Willensstarken unter ihnen zum Besuch eines Fitness-Studios angespornt werden. Auf Kosten der öffentlichen Hand. Vorausgesetzt, die Pfunde schmelzen.
    Früher haben mich die Feisten zur Weißglut getrieben, ja schlimmer, zum Moralisieren. Ich sah sie immer als leibhaften Ausdruck einer Lebensform, die den Hals nicht vollkriegen kann, die – wie diese Gesellschaft, in der sie leben – auf Biegen und Brechen weiterfressen, weiterschlingen, weiterkonsumieren will. Muss. Auch auf die Gefahr hin, dass sie früh umfallen. Gefällt von der schieren Raffgier nach mehr, immer mehr, haltlos mehr. Zudem pfiff ich auf die allseits gepredigte Wohlanständigkeit, die uns »fat is beautiful« einbläuen will. Aber nicht doch, »fat is ugly«. Basta.
    Nun, die Weißglut habe ich hinter mir, heute will ich mich an den außer Rand und Band Geratenen ergötzen. (Und heute weiß ich, dass es auch dünne Gierige gibt.) Hier die ergötzlichste Szene der letzten Jahre: Auf der Golden Gate Bridge in San Francisco traf ich zwei Frauen. Da ich gerade vorbeikam, baten die Freundinnen mich, sie zu fotografieren. Die beiden waren so viereckig breit, dass ich Meter um Meter zurückgehen musste, um die fünfeinhalb oder sechs Zentner gemeinsam aufs Bild zu bekommen. Wir haben so gelacht, dass minutenlang kein Foto zustande kam. Wir konnten einfach nicht, wir hielten selig unsere Bäuche.
    Und dann kam der 11. November 2003. Ich saß vier Meter von Hermes Phettberg entfernt, in einem Wiener Theater. Der Verkommene gilt als österreichisches Genie, als Denker, Dichter, Fresssack, TV-Talker, Komödiant, Fiesling, Zartling, schwuler Sexloser, Bettlägrig-Vermüllter, Bankrotter und Einzigartiger. Sechzehn andere Besucher saßen im Zuschauerraum, um Phettbergs – welch grandioser Künstlername – »Hirnstromprotokolle« zu hören. Aberwitzige Depeschen zum Thema Lebens-Untergang, Phettberg-Untergang, Welt-Untergang. Hermes ließ sein Hirn strömen. Und
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