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Titel: Suche: Roman
Autoren: Monica Kristensen
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noch weiter hinein in den engen Schneetunnel. Ihnen war klar, dass die Kindergartenleiterin nach ihnen suchte. Aber sie würde die Kinder nicht finden. Die Erwachsenen waren so dumm. So dumm, die Kinder fanden gar keine Worte dafür. Die Erwachsenen kapierten gar nichts. Die Leiterin war sogar fest davon überzeugt, dass sie es nicht einmal schafften, die Haustür zu öffnen!
    »Wie doof«, flüsterte Kalle, der fast sechs Jahre alt war. Er kannte all diese spannenden Worte. »Bescheuert. Richtig oberdoof.« Er hatte bereits beide Schneidezähne verloren und zischte bei einzelnen Buchstaben. Dadurch wirkte er nicht ganz so souverän und erwachsen, wie er gern wollte.
    Die vier Kinder schoben sich rückwärts weiter hinein in den großen Hohlraum unter dem Kindergarten. Sie versuchten, kein Geräusch zu machen, aber ihre Schneeanzüge raschelten auf dem Schnee. Und sie schafften es auf ihrem Weg weiter unters Haus nicht, das Kichern zu unterdrücken.
    »Schubs mich nicht.«
    »Du hast zuerst geschubst. Und mich mit dem Stiefel getreten.«
    »Habe ich nicht! Das war …«
    Die Geräusche wurden leiser und verebbten.
    Wie die meisten Häuser in Longyearbyen war der Kindergarten auf hohen Pfeilern gebaut, die tief in den Boden gerammt worden waren. Es gab nur zwei Methoden, auf Spitzbergen zu bauen: entweder man errichtete das Haus direkt auf dem Boden, so dass es sich mit der tauenden und wieder frierenden obersten Schicht des Permafrostbodens bewegte, oder man baute auf Pfeilern, die so lang waren, dass sie bis in die Erdschichten reichten, die niemals tauten. Die erste Methode war am besten geeignet für Holzhäuser, die je nach Jahreszeit nachgeben und sich dehnen konnten. Die zweite Methode musste bei Steinhäusern benutzt werden, sonst würden sich große Risse in den Wänden bilden. Außerdem hatten die Häuser auf Pfählen, wenn sie denn im Hinblick auf die Windrichtung ausgerichtet waren, den Vorteil, dass der Schnee durch die Hohlräume unter dem Haus pfiff, so dass er auf der anderen Seite wieder herauswirbelte. Doch dafür lag der Kindergarten zu tief im Gelände. In schneereichen Wintern legten sich Schneewehen rund um das Gebäude und bildeten einen unsichtbaren Hohlraum.
    Im Sommer erlaubte die Leiterin den Kindern, unter dem Haus zu spielen. Dort war es dunkel, der Boden war bedeckt mit Kies und kleinen Steinen, es roch nach Eisen und Erde. Und es war eng und niedrig, zu niedrig für Erwachsene. Da die meisten der Kinder vom Kullungen-Kindergarten Eltern hatten, die in irgendeiner Art und Weise etwas mit der Store Norske Kohlekompanie zu tun hatten, hatte sie zwischen den Stützpfeilern Gänge anlegen lassen, so dass die Kinder spielen konnten, sie wären in einem Bergwerk. Lampen, wie es sie in den Kohlegruben gab, und andere Ausrüstung waren ein Geschenk der Gesellschaft gewesen. Die Leiterin fand, sie hatte ein realistisches Modell zustande gebracht, mit dem die Kinder etwas über den Bergbau lernen konnten. Diese Spiele unter dem Haus fanden im Sommer und im Herbst statt. Im Winter waren die Gänge vom Schnee zugeweht. Glaubte zumindest die Leiterin.
    Aber einige der Kinder hatten entdeckt, dass es auch im Winter große Hohlräume unter dem Haus gab. Wenn sie sich durch ein Loch hindurchzwängten, das sich gewöhnlich im Windschatten der Treppe bildete, rutschten sie eine Rinne hinunter und landeten in einer niedrigen, dunklen Grotte aus festgepresstem Schnee. Von hier aus hatten sie kleine Löcher zum Fußweg hin gegraben. Durch diese Löcher sickerten vereinzelt Lichtstrahlen von den Straßenlampen. Und so konnten sie dort unten hocken und heimlich die Leute beobachten, die vorbeigingen – zumindest konnten sie versuchen zu erraten, wem die Schuhe gehörten.
    Aber heute waren sie mit etwas anderem beschäftigt. »Du darfst nicht über die Schneewehe beim Schuppen klettern. Dann machst du alles kaputt«, erklärte Kalle wütend einem der Zwillinge. »Sprich mir nach: Ich verspreche, nicht wieder über den Zaun zu klettern.« Kalle hatte einen schwer einzuordnenden Dialekt, eine Mischung aus der Gegend von Trøndelag und Nordnorwegisch, wie die meisten, die in Longyearbyen aufgewachsen waren.
    Der kleine Vierjährige nickte, ihm standen schon die Tränen in den Augen. »Ich wollte doch nur die Schokolade haben, die er hingehalten hat, ich wollte nicht …« Er schluchzte und wischte sich mit dem Ärmel unter der Nase entlang.
    »Ja, ja.« Kalle drehte sich altklug weg. »Aber wenn du das noch einmal
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