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Titel: Suche: Roman
Autoren: Monica Kristensen
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persönlich dafür sorgen, dass es das letzte Mal war, dass diese Person sich so unüberlegt verhielt. Die Leiterin war in dieser Hinsicht sehr streng. Sie verlangte rechtzeitig darüber informiert zu werden, wenn jemand anderes als die Eltern die Kinder abholten.
    Sie sahen friedlich aus, die beiden Perlenketten von Fußabdrücken, die in den Neuschnee gedrückt waren. Von keinem Windstoß verwischt, zeichneten sie sich perfekt in den Lichtkegeln der Straßenlaternen ab. Der Weg war menschenleer, er führte an dem neuen Krankenhaus vorbei, das in beruhigendes hellgelbes Licht getaucht, direkt gegenüber vom Kindergarten lag. Die Spuren folgten den Schneewällen, so weit sie sehen konnte. Aber inzwischen hatte es wieder angefangen, sacht zu schneien. Kleine Eisnadeln rieselten aus dem blauen Licht herab und drehten sich unentschlossen hin und her. Bald würden die Spuren verschwunden sein.
    Die Kindergartenleiterin seufzte und betrat den vollgestopften Flur, in dem bunte Kinderkleidung in den niedrigen Fächern lag und an den Haken hing. Die Kinder waren wegen der Kälte früh wieder vom Spielplatz hereingeholt worden. Ellas Schneeanzug hing nicht an ihrem Haken, aber das musste nichts bedeuten. Die Kinder ließen ihre Sachen einfach überall liegen. Aber Ellas braune Bärenmütze mit den Puschelohren lag auch nicht in ihrem Fach. Und die Stiefel waren nirgends zu entdecken. Ella war so stolz auf die Mütze und ihre rosa Fellstiefel mit dem weißen Pelzrand. Niemand sonst hatte so welche. Es war das Geschenk einer geliebten Oma aus dem Süden, und sie würde sie niemals vergessen. Die Kindergartenleiterin dachte, wenn sie Mütze und Stiefel fände, dann wäre Ella sicher auch nicht weit.
    Der Kindergarten lag im Zentrum von Longyearbyen. Die ständigen Bewohner sagten das ohne jede Form von Ironie. Es waren nur die Touristen, die sich darüber amüsierten, dass Bezeichnungen wie Marktplatz oder Zentrum für die bescheidene Anhäufung von Büros, Geschäften und Gaststätten benutzt wurden.
    Das lag daran, dass die Besucher nichts verstanden. Sie dachten nicht daran, wie viele Kilometer menschenleerer Straßen es waren von den hintersten Häusern im Adventdalen bis zu den Kränen am Kohlekai. Sie achteten nicht auf die Schatten, die tief auf die Häuser in Blåmyra und auf Skjæringa fielen. Und sie hatten die Spuren des einen oder anderen Eisbären vergessen, der durch die Stadt gestapft war, auf dem Weg zu eisbedeckten Fjorden, lautlos und fast unsichtbar vor dem fallenden Schnee. Die Einwohner wussten, dass es auch im kleinsten Dorf ein Zentrum gab, in dem es erlaubt war, sich zu entspannen und sicher zu fühlen. Und mitten im Zentrum, zwischen all den Lichtern und dem friedlichen Fußweg, da lagen Kindergarten und Krankenhaus. Niemand hatte hier jemals eine Eisbärenspur gesehen.
    Der Weg begann am Polarhotel, führte weiter über den Marktplatz, wo die lebensecht wirkende Bronzestatue von Grubenarbeitern mit Schutzhelmen auf den Köpfen und den Spaten in der Hand stand, zog sich weiter vorbei an dem neuen Base-camp-Haus, das mit seinem seidengrauen Naturpaneel aus Treibholz protzte, er wurde breiter zwischen Rabiesbua und einem Laden, der Sportausrüstung verkaufte, und verschwand zum Schluss im Hilmar Rekstens vei, wo den Fußgängern nicht einmal mehr ein Bürgersteig blieb, auf dem sie sicher hätten weitergehen können. Denn die Bürgersteige, die wurden von den Schneescooterfahrern benutzt.
    Der Fußweg wurde nicht groß begangen, höchstens jeweils das kurze Stück vom Parkplatz am Büro der Spitzbergen-Post bis zu dem Gebäude, das Post und Bank beherbergte. Immer mehr Menschen fuhren mit dem Auto zur Arbeit. Ihre Beine benutzten fast nur noch Hundebesitzer und Jogger.
    Die dunkle Zeit war auch nicht mehr so wie früher. Früher konnte man andere ständige Einwohner auf der Straße treffen und sich mit ihnen unterhalten. Alle wussten, wer unterwegs war, wohin jeder gegangen war, und im Großen und Ganzen überhaupt, was so vor sich ging. Jetzt war es schwieriger geworden, alles mitzubekommen. Die Polarnacht hatte den Rand der Stadt zurückerobert.
    »Hast du Ella gefunden?« Die Erzieherin, die für die größeren Kinder verantwortlich war, war lautlos auf Strumpfsocken in den Flur gekommen und stand plötzlich neben ihr.
    Die Kindergartenleiterin zögerte. Sie wollte ihre Angestellte nicht unnötig beunruhigen. »Draußen vor der Treppe waren Spuren von Kinderschuhen, aber sie kann ja nicht … und selbst
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