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STYX - Fluss der Toten (German Edition)

STYX - Fluss der Toten (German Edition)

Titel: STYX - Fluss der Toten (German Edition)
Autoren: Unbekannt
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Hier sprechen alle die Sprache des Paradieses, dieselbe Sprache, die Gott und die Heiligen sprechen und die auch die ersten Menschen sprachen, ehe Gott sie ihnen verwirrte. So sagt es ein alter griechischer Dichter: Gar viele Sprachen haben die Sterblichen, aber nur eine die Unsterblichen. Und unsterblich sind ja auch wir Bewohner des Hades einschließlich der Verstorbenen selbst.«
    Schweigen.
    Das Licht des Flammenschwerts wird schwächer, der Weg noch steiler, noch steiniger, noch rauer. Luciano, immer noch maßlos aufgeregt, stolpert, stürzt, fällt weich, nämlich auf den Todesengel, reißt ihn mit in die Tiefe. Dieser lässt ein grauenhaftes Donnerwetter auf Luciano niedergehen, droht, ihn sofort wieder an die Oberwelt zu befördern, oder besser, ihn in den Tartarus zu stoßen; dort werde Heulen und Zähneknirschen sein. Nun ist das Gesicht des Todesengels eine teuflische Fratze, deren Anblick allein schon, ähnlich wie das Haupt der Gorgo, geeignet erscheint, einen Sterblichen in eine Statue aus Marmor zu verwandeln. Trotzdem versucht Luciano, während er sich aufrappelt, um Verzeihung zu bitten. Doch seine Zunge ist gelähmt, er zittert am ganzen Leib.
    Endlich verstummt das Donnerwetter, verstummen die Drohungen. Der Höllenengel erhebt sich, wendet sich um, setzt den Abstieg fort, und Luciano, ohne eine Bitte um Verzeihung über die Lippen gebracht zu haben, ihm nach. So stapfen die beiden schweigend in die Tiefe, und kein Ende ist in Sicht. Plötzlich spürt Luciano, wie es deutlich wärmer, nein, heißer wird. Gleichzeitig verstärkt sich der geheimnisvolle Goldschimmer, der das trübe Dämmerlicht durchzieht, ebenso jener sonderbare Geruch nach Fäulnis und Weihrauchduft, der in der Luft liegt. Und dann durchschreiten sie so etwas wie ein Tor und stehen unverhofft im Freien. Luciano steht tatsächlich. So groß ist seine Überraschung, so abrupt der Übergang, dass er seinen Schritt unwillkürlich hemmt. Er blickt, wie von einem der Hügel Budapests auf die Donau, auf einen breiten Fluss hinab, hinter dem sich eine grenzenlose, kahle Ebene zu erstrecken scheint. Über allem liegt ein fahles Dämmerlicht, etwa wie bei Vollmond, nur mit dem Unterschied, dass kein Mond am Himmel steht und keine Sterne.
    Der Todesengel ist inzwischen ohne Aufenthalt weitergeeilt, bleibt abrupt stehen, wendet sich um. »Na, was ist? Traust du dich nicht weiter?«
    Gottlob, das klingt zwar reichlich ungeduldig und auch nicht übertrieben freundlich, aber wenigstens nicht mehr zornig oder bedrohlich. Und gottlob, Lucianos Sprechwerkzeuge funktionieren wieder. Er zeigt auf den Fluss. »Müssen wir da hinüber?«
    »Klar. Oder möchtest du wieder umkehren?«
    »Nein, nein. Nein, nein. Ich will ja ...«
    »Na eben. Und sei getrost: unangenehm, abschreckend ist nur der Name des Flusses: Styx, der Verhasste .«
    »Aber ich sehe nirgends eine Fähre, geschweige denn eine Brücke.«
    »Ach, das mit der Fähre! Das fragen mich die Verstorbenen auch immer wieder. Nein, das mit dem Fährmann Charon ist ein bloßes Gerücht.«
    »Ach so? Na, und kann man ihn wenigstens durchwaten, den Verhassten Fluss ?«
    »Aber wo. Dafür ist er viel zu tief. Du wirst schwimmen müssen. Aber pass schön auf, dass du kein Wasser schluckst. Ich hoffe, du kannst schwimmen? Sonst kehrst du besser gleich um.«
    »Nein, nein, Schwimmen ist kein Problem. Nur, wieso ist das so wichtig, dass ich kein Wasser schlucke?«
    »Weil du dann nicht mehr wüsstest, wer du bist. Das Wasser würde sämtliches Wissen, sämtliche Erinnerungen löschen. Darum nennt man den Fluss auch Lethe, das Vergessen . Die Verstorbenen können nicht so gut schwimmen, schlucken Wasser und vergessen alles, was in ihrem Leben je geschehen ist.«
    Und Luciano, entsetzt: »Auch ihre Liebe?«
    »Natürlich auch ihre Liebe, klar.«
    »Das darf ja nicht wahr sein. Nein, das glaube ich nicht. Meine Donna hat mich so geliebt ... Sie kann unsere Liebe nicht vergessen haben. Außerdem war sie immer eine exzellente Schwimmerin.«
    »Wie du meinst. Vielleicht ... Aber wie gesagt, schluck ja kein Wasser. Und jetzt komm endlich weiter.«
5
    Verwirrt, bestürzt, verunsichert, folgt Luciano seinem Führer durch die Unterwelt. Die ungewohnte Hitze treibt ihm den Schweiß aus allen Poren, sodass er dem bevorstehenden feuchten Abenteuer einerseits mit zunehmender Erleichterung entgegensieht. Andererseits fühlt er sich immer stärker beunruhigt. Denn je näher sie kommen, umso deutlicher hörbar wird ein
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