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STYX - Fluss der Toten (German Edition)

STYX - Fluss der Toten (German Edition)

Titel: STYX - Fluss der Toten (German Edition)
Autoren: Unbekannt
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können. Und siehe da, an einer Stelle, die er bestimmt schon etliche Male genauestens untersucht hat, entdeckt er zu seiner Verblüffung einen niedrigen Spalt. Ohne sich darüber lange den Kopf zu zerbrechen, schlüpft er kurzerhand hinein und macht in gebückter Haltung ein paar Schritte, bis er sich wieder aufrichten kann.
    Vor ihm tut sich ein schmaler Gang auf, der steil in die Tiefe führt. Ihn empfängt ein sonderbarer Geruch. Er erinnert ihn an Fäulnis und an Weihrauchduft zugleich. Je weiter er absteigt, umso mehr weicht die Finsternis schwachem, mehr und mehr von geheimnisvollem Goldschimmer durchzogenem Dämmerlicht. Mehr als einmal gerät er in Versuchung, seine Lampe auszuschalten, um die Batterie zu schonen. Vorläufig scheint es freilich wichtiger, den steinigen Boden vor seinen Füßen auszuleuchten, um einem Fehltritt vorzubeugen.
    Plötzlich: Grelles Licht. Geblendet schließt Luciano die Augen, öffnet sie mit gebotener Vorsicht wieder, glaubt zu träumen. Vor ihm steht ein leibhaftiger Engel, schwarz gekleidet, ausgestattet mit einem Paar beeindruckender schwarzer Flügel, und blickt ihm mit grimmiger Miene entgegen. In der Hand hält er ein Schwert, aus dessen Spitze, bösartig zischend, helle Flammen schlagen. Und mit einer Donnerstimme, die in der Höhlung schaurig widerhallt, ruft er ihm entgegen: »Halt! Was führt dich hierher?«
    Da lösen sich Luciano, in den Worten Homers, sogleich die Knie und das liebe Herz. Zugleich verspürt er so etwas wie Freude und Genugtuung; denn diese erschreckende Begegnung ist ihm eine Bestätigung, dass seine Vermutung richtig war. Offensichtlich steht er vor einem Höllen- oder Todesengel. Von diesen widersprüchlichen Gefühlen hin- und hergerissen, starrt er viele Herzschläge lang auf das grauenerregende Flammenschwert, als hätte ihn der Blick der Gorgo versteinert. Doch dann ermannt er sich und sagt, genauer, stammelt: »Die Liebe.«
    »Die Liebe führt dich hierher?«, tönt es zurück. »So willst du dich im Hades mit einer geliebten Person wiedervereinen?«
    »Ja, ja. Mit meiner Frau. Aber nicht im Hades.«
    »Du willst sie dem Hades entführen?«
    »Hm. Ja.«
    »Weißt du nicht, dass dies völlig unmöglich ist?«
    »Hm. Völlig unmöglich nicht. Wenn Sie es erlauben ...«
    »Ausgeschlossen.«
    »Aber ...«
    »Zurück!«
    Nach kurzem Schweigen, und während noch dem Zitternden vor Bestürzung der Mund verschlossen bleibt: »Wie bist du eigentlich bis hierher vorgedrungen?«
    Doch Luciano ist zu keiner Antwort mehr imstande. Sein Verstand funktioniert trotz allem ausgezeichnet. Und da erinnert er sich an die Methode des Orpheus, ermannt sich abermals, holt tief Atem und stimmt, kurz entschlossen, Florestans erste Arie aus Beethovens Fidelio an: »Gott! Welch Dunkel hier! O grauenvolle Stille!«
    Und o Wunder, die Gesichtszüge des Engels glätten sich, werden weich, ja geradezu übernatürlich schön, er lauscht mit sichtlicher Rührung und sagt zuletzt mit immer noch erschreckend rauer Stimme, doch in unerwartet freundlichem Ton: »Wahrlich, wer könnte deinem göttlichen Gesang widerstehen? Und da du ja nicht ohne die Zustimmung einer höheren Macht bis hierher vorgedrungen sein kannst, will ich dich nicht weiter hindern, deinem Ziel näherzukommen. Mehr noch, ich werde dich begleiten. Du weißt ja nicht, an wen du dich zu wenden hast. Falls inzwischen noch ein Lebender in das Reich des Todes einzudringen begehrt, so wird ihn die Flamme dieses Schwertes aufhalten.«
    Er heißt Luciano unverzagt näherkommen und seine Lampe ausschalten, stellt hinter ihm sein Flammenschwert auf den Boden; und o Wunder, es bleibt aufrecht stehen, füllt mit seiner Flamme die gesamte Breite des Ganges aus.
4
    Ohne weitere Präliminarien beginnt der Höllenengel den Abstieg. Luciano, sprachlos vor Aufregung, folgt ihm auf dem Fuß.
    »Und an wen ...«, stammelt er nach geraumer Zeit, unfähig, seine Frage zu vollenden.
    »An wen du dich zu wenden hast? An König Pluton natürlich.«
    »Und? Glauben Sie, wird er ...«
    »Dir deinen Wunsch erfüllen? Offen gesagt, nein.«
    »Nein?«
    »Andererseits, wer nicht wagt, der nicht gewinnt.«
    »Oh, danke. Das klingt ja ... Und vielleicht werden Sie für mich ... Übrigens, spricht König Pluton ... Ich meine, spricht er auch so gut Deutsch wie Sie? Oder müssen Sie dann ...«
    »Dolmetschen? Nein, nein. Ich spreche ja gar nicht Deutsch. Du übrigens auch nicht, seit du das Flammenschwert erblickt hast. Du merkst es nur nicht.
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