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STYX - Fluss der Toten (German Edition)

STYX - Fluss der Toten (German Edition)

Titel: STYX - Fluss der Toten (German Edition)
Autoren: Unbekannt
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damit sie beide sich erholen konnten, doch weit und breit war die Landschaft frei und offen. Nur der Fluss rauschte gleichmäßig zu ihrer Linken.
    Navin ließ sich neben Lennart auf den Boden sinken, streckte sich und schloss die Augen. Die Sonne schien so hell, dass er sie selbst durch seine geschlossenen Augenlider wahrnehmen konnte. Rotes Licht glühte vor seinen Augen und wieder fühlte er sich an die Unterwelt erinnert. Rotes Licht. Dunkle Gänge und rotes Licht und das manchmal weiße Wasser der Styx.
    Er musste noch erschöpfter sein, als er zunächst angenommen hatte. Der Boden schwankte unter ihm, sein Gleichgewichtssinn spielte verrückt. Das Rauschen des Flusses drang unnatürlich laut zu ihm durch, schien ihn vollkommen zu umgeben, ihn mitzureißen. Und es war dunkel.
*
    Das Boot hing immer noch an seinem Felsen, doch das Wasser stand inzwischen fast bis zum Rand. Es war ein Wunder, dass das kleine Gefährt noch nicht gekentert war. Der Junge kauerte am Bug und starrte ängstlich auf das reißende Wasser. Navins Robe war durchnässt bis über die Knie und inzwischen konnte er auch noch etwas anderes wahrnehmen als das gleichmäßige Rauschen. Ein wildes, lautes Toben und Fauchen, ein Donnern und Krachen, das er in seinem vorherigen Traum - wenn es ein Traum gewesen war - nicht bemerkt hatte.
    Navin wusste untrüglich, was das Geräusch bedeutete: ein Wasserfall.
    Irgendwo vor ihnen in der Dunkelheit stürzte sich das weiße Wasser der Styx eine Klippe hinunter. Und dem Klang nach, war es keine kleine Klippe.
    Vor Navins innerem Auge manifestierte sich das Bild von spitzen Steinen und scharfen Felsgraten. Einen Sturz von dieser Klippe würde er nicht überleben, das wusste er. Genauso wie er wusste, dass genau das Styx' Absicht war. Sie kannte keinen anderen Ausweg mehr. Wenn sie nicht entkommen konnte, musste sie ihn - den Fährmann - umbringen. Kein Fährmann, keine Fahrt in die Unterwelt. Und dann würde Styx frei sein.
    Das Wasser war kalt. So kalt, dass Navins Robe gleichzeitig nass und steifgefroren um seine Beine schlug. Die lähmende Kälte kroch durch seinen Körper und schien ihn auszufüllen. Er konnte sich nicht bewegen. Nicht einmal einen Finger hätte er rühren können, selbst wenn er es gewollt hätte. Aber auch das erschien ihm viel zu viel Aufwand. Er konnte sowieso nichts tun. Gegen die Strömung kam er mit seiner Stange nicht an und früher oder später würde das Boot kentern und Lennart und er würden über die unsichtbare Klippe ins Nichts gerissen. Kein Grund, sich dagegen noch aufzulehnen. Keine Chance für ihn. Er konnte genauso gut hier sitzenbleiben und warten, dass es geschah.
    »Bitte!«
    Die Stimme des Jungen war leise, kaum hörbar über dem Rauschen, und Navin war sich zuerst gar nicht sicher, ob er überhaupt gesprochen hatte. Und mit wem? Dem Fluss? Keine große Chance.
    »Bitte!«
    Wieder dieser Laut. Als Navin den Kopf hob, sah er, dass der Junge ihn anblickte. Die großen Augen glänzten im schwachen weißen Licht des Flusses.
    »Bitte! Ich habe die Überfahrt bezahlt. Ich will nicht untergehen. Ich will endlich ... drüben sein.«
    »Der Fluss will nicht, dass wir hinüberkommen.«
    Navins Stimme war nur ein heiseres Krächzen. Trotz all dem Wasser in der Höhle war sein Hals trocken, seine Zunge schwer und geschwollen.
    »Bitte. Du bist doch ihr Freund. Du musst mit ihr reden.«
    Die Hoffnung war fast vollständig aus den Augen des Jungen verschwunden und dieser Anblick tat Navin in der Seele weh. Eine große Welle schwappte heran, überspülte die Bordwand und durchnässte den kleinen Jungen von Kopf bis Fuß, doch er rührte sich noch immer nicht und hielt seinen Blick unverwandt auf Navin gerichtet.
    »Bitte!«
    Ich habe schon mit ihr geredet, sie will es nicht einsehen , dachte Navin, doch die Augen des Jungen hielten ihn fest und ließen ihn nicht entkommen. Nicht mit so einer einfachen Ausrede. Nicht, wenn doch mehr auf dem Spiel stand, als Navins eigenes Überleben.
    Er kämpfte sich auf die Füße, unendlich langsam und behindert durch die steife Robe um seine Beine. Es fühlte sich so an, als wäre sein ganzer Körper zu Eis erstarrt, nicht nur die Kleidung. Mit steifen Beinen stakste er zum Heck, um die Stange wieder an sich zu nehmen. Doch als er da war, konnte er die Arme kaum heben, geschweige denn die Stange packen. Stattdessen stand er nur wie gelähmt am Heck, das sich langsam aber sicher um den Stein herum drehte, und starrte in das weiße Wasser.
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