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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit
Autoren: Link Charlotte
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Sarajewo - wo lag das überhaupt? Sie hatte nie von diesem Ort gehört. Im übrigen war es ihr auch gleichgültig. Sie dachte über Maksim nach und darüber, weshalb sie ihn anderen vorzog. Es war so, daß sie all die netten jungen Männer, die sie sonst kannte, zum Sterben langweilig fand. Sie waren so schrecklich aufmerksam und gut erzogen; sie verstand sie - und verachtete sie. Sie hatten nichts Rätselhaftes an sich und waren damit keine Herausforderung. Gerade danach aber suchte sie. Sie wollte Abenteuer, und in Maksim schien ihr die Erfüllung dieses Wunsches zu liegen.

    Felicias Bruder Johannes wurde an diesem 28. Juni 1914fünfundzwanzig Jahre alt.
    Außerdem wurde er an diesem Tag zum Oberleutnant ernannt. Und sein Urlaub begann.
    Am frühen Morgen hatte er gemeinsam mit seinem Freund Phillip Rath das langweilige Garnisonsnest am Rhein, wo seine Kompanie stationiert war, verlassen, um zu dem alljährlichen Familiensommer auf Lulinn zu reisen. Sie machten in Berlin Station; zum einen, um sich auszuruhen, zum anderen, damit Phillip seine Familie, die ebenfalls in Berlin lebte, kurz sehen konnte. Am Abend trafen sie sich bei Johannes, in der augenblicklich leeren Wohnung seiner Eltern in der Schloßstraße. Phillip brachte seine Schwester Linda mit, eine achtzehnjährige puppenhafte Schönheit, die mit Felicia zur Schule gegangen und seit einem halben Jahr mit Johannes verlobt war. Außerdem waren sie in Begleitung eines Mannes, den Johannes nicht kannte: Alex Lombard aus München.
    »Unsere Väter waren Geschäftspartner«, erklärte Phillip,»daher kennen wir uns etwas. Ich traf Alex vorhin zufällig, und da er nichts vorhatte, habe ich ihn mitgenommen.«
    Johannes und Alex schüttelten einander die Hände.
    Unvermittelt dachte Johannes: Ein interessanter Mann. Sicher mindestens zehn Jahre älter als ich. »Lombard«, sagte er stirnrunzelnd, »sind Sie...«
    »Die Textilfabrik aus München, ja.« Alex grinste. »Die gehört allerdings meinem Vater. Ich bin hin und wieder so wie jetzt sein Handlungsreisender, wenn ich mich nicht gerade in der Rolle des mißratenen Sohnes wohler fühle.«
    Die vier jungen Leute verbrachten einen vergnügten Abend. Johannes hatte Sekt gekauft, das Grammophon spielte, und durch die geöffnete Balkontür floß warme Nachtluft. Alex machte den Alleinunterhalter. Er konnte urkomische Geschichten erzählen, Menschen, die er in seinem Leben getroffen hatte, treffend parodieren, sich selbst, andere und die Welt als solche so dreist ins Lächerliche ziehen, daß man sich hätte biegen können vor Lachen - wären nicht seine Ironie eine Spur zu beißend, sein Spott ein wenig zu giftig gewesen. Seine Zuhörer schwankten stets zwischen Belustigung und Betroffenheit. Irgend jemand hat dich mal irgendwann sehr verletzt, dachte Johannes, und ich habe auch das Gefühl, du trinkst etwas zuviel.
    Seine schicksalhafte Wende nahm der Abend gegenMitternacht, als die Gäste gerade beschlossen hatten zu gehen und Alex Lombard draußen auf dem Flur plötzlich wie angewurzelt stehenblieb.
    »Ach«, sagte er, »das habe ich vorhin gar nicht gesehen!«
    Es war ein Bild, das seine Aufmerksamkeit fesselte, ein Ölgemälde, das ein junges Mädchen zeigte. Das Mädchen saß auf der Seitenlehne eines Sofas, sehr lässig und wie zufällig. Es trug ein blaßlilafarbenes Kleid, hielt einen weißen Strohhut in den Händen, und am Ausschnitt des Kleides war eine weiße Rose befestigt. Die lockigen, dunkelbraunen Haare fielen bis zur Taille hinab. Das Mädchen entsprach keineswegs dem Schönheitsideal seiner Zeit, das zartere und lieblichere Frauenverlangte, blaß und fein wie zerbrechliches Porzellan. Diese hier jedoch erschien weder lieblich noch zerbrechlich. Sie hatte ein schmales Gesicht mit einer geraden Nase und einem schöngeformten Mund, der sehr zuversichtlich lächelte. Die hohe, weiße Stirn gab dem Gesicht etwas unerwartet Vornehmes.
    »Wer ist das?« fragte Alex fasziniert.
    »Meine Schwester Felicia«, erwiderte Johannes, »mein Onkel Leo hat sie gemalt, und ich glaube, er hat sie sehr gut getroffen.«
    »Felicia«, sagte Alex, und er sprach den Namen, als ließe er ihn auf der Zunge zergehen. Er vertiefte sich wieder in das Bild, unbekümmert um die lächelnden Blicke, die sich Johannes und Phillip zuwarfen. Er konnte sich Felicias Stimme vorstellen, ihre Bewegungen und wie es klingen mußte, wenn sie lachte. In allem, was sie tat, mußten ein Schuß Ironie und eine unbändige Lust am Provozieren
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