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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit
Autoren: Link Charlotte
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werden auf russischer Seite kämpfen.«
    »Es gibt aber gar keinen Krieg.«
    »Ach, es gibt keinen, wie? Und wie soll Österreich auf den Mord von Sarajewo reagieren?«
    »Wie auch immer, Rußland wird sich nicht einmischen. Man wird sich dort nicht auf die Seite der Königsmörder schlagen.«
    »Wenn einem das den Grund liefert, in Ostpreußen einzufallen, dann schon«, entgegnete Ferdinand, der die geheime Überzeugung hegte, es sei dieses herrliche, grüne Land zwischen Ostsee und Memel, um das jeder Kampf geführt werde. Was konnte es Schöneres geben auf der Erde als diese sanften Hügel, die fruchtbaren Wiesen, die tiefen Wälder und weiten Seen unter einem Himmel, der blauer war als irgendwo sonst in Europa. Worum kämpfen, wenn nicht um die endlosen Kornfelder, die sich leise im Wind wiegten, um die hundertjährigen Eichen, die zehn Männer nicht gemeinsam umfassen konnten? In jedem Frühjahr, in dem er den Schrei der heimkehrenden Wildgänse vernahm, begriff Ferdinand Domberg in einer seinem Wesen sonst völlig fremden Demut, daß es eine Gnade war, hier leben zu dürfen.
    Doch jetzt war es Sommer, die Wiesen sahen aus wie schaumige Wogen von Blumen, und Ferdinand dachte nicht an Gnade, sondern an Recht. Sie sollten nur kommen, die slawischen Horden, wagen sollten sie es, einen einzigen Fuß auf den Boden von Lulinn zu setzen. Zum zweitenmal an diesem Abend schlug er mit der Faust auf den Tisch. »Wo, zum Teufel, ist Felicia?« fragte er. Elsa, die bislang ihren Blick nicht von dem rauschenden Laub eines Apfelbaumes gewandt hatte, sahihn an. »Sie wollte ausreiten«, erklärte sie, »mit irgendwelchen Jungen aus der Nachbarschaft. Sie ist bestimmt bald zurück.«
    »Was für Jungen?«
    »Von den umliegenden Gütern. Sie kennt sie vonJagdgesellschaften und Bällen. Alle aus guter Familie.«
    »Maksim Marakow ist nicht dabei?« Ferdinands Blick wurde lauernd.
    Elsa schüttelte arglos den Kopf. »Der ist in Berlin, soviel ich weiß...«
    »Na ja... Zwischen Marakow und Felicia ist nicht alles so harmlos. Gertrud hat sie einmal belauscht, und es soll recht vertraulich zugegangen sein.«
    »Gertrud ist ein Scheusal«, entgegnete Elsa kurz. In minutenlanger Einmütigkeit schwiegen alle, dann bohrte Ferdinand weiter. »Ich würde ja nichts sagen, mir ist es gleich, mit wem sie sich amüsiert. Aber über Marakow gibt es Gerüchte. Er soll ein Sozialist sein!«
    »Und wenn schon!« Elsa hatte keine Lust, über Maksim zu reden. »Zwischen den beiden ist nichts.«
    Laetitia lächelte. Elsa kannte ihre Tochter schlecht. Sie selber hatte eine besondere Beziehung zu Felicia, sie war ihre Lieblingsenkelin, weil sie sich selbst in ihr wiederfand. Sie war ebenso unabhängig gewesen, so berechnend liebenswürdig, so heftig in das Leben verliebt. Felicia konnte ihr nichts vormachen. Sie wußte, daß die Sache mit Maksim Marakow nicht ausgestanden war. Es gab seit einiger Zeit einen neuen Zug im Gesicht der Enkelin, in den Augen ein Wissen, das nichts mit der Schulweisheit einer frischgebackenen Abiturientin zu tun hatte.
    Ferdinand, dem die Hitze des Tages zu schaffen gemacht hatte und den die Unpünktlichkeit seiner Kinder vor allem deshalb fast rasend machte, weil sie ihm bewies, daß er seinebeste Zeit als gefürchteter Diktator auf Lulinn überschritten hatte, suchte weiterhin Streit. Bislang hatte er nur gequengelt, nun ging er zum Angriff über. »Du solltest vielleicht ein bißchen mehr darauf achten, mit wem deine Tochter ihre Zeit verbringt, Elsa«, sagte er anzüglich, »oder willst du, daß mit ihr dasselbe geschieht wie mit dir?«
    Elsa fuhr herum, totenblaß im Gesicht. Auf ihrer Nase bildeten sich in Sekundenschnelle feine Schweißperlen. »Daß du es noch wagst, davon zu sprechen, Vater!« sagte sie tonlos. Zum drittenmal an diesem Abend fiel Ferdinands Faust krachend auf den Tisch. »Glaubst du im Ernst, ich ließe mir von dir vorschreiben, worüber ich sprechen darf und worüber nicht?«schrie er. Laetitia erhob sich. Ihr Mund war nur noch ein dünner Strich. »Wir waren übereingekommen, diese Sache niemals wieder zu erwähnen«, sagte sie hart.
    Ferdinand, den sie heute noch ebenso leicht einschüchtern konnte wie zu Beginn ihrer Ehe, brummte etwas
    Unverständliches. Laetitia wandte ihren gefürchteten stahlharten Blick Elsa zu, doch in der hatte sie schon immer einen widerspenstigen Gegner gehabt. Elsa wurde noch um eine Schattierung blasser, aber sie wich nicht aus. »Übereinkunft«, sagte sie, »hieß
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