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Sturmbote

Sturmbote

Titel: Sturmbote
Autoren: Tom Lloyd
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Jemand hatte sich große Mühe gegeben, die Steine so zusammenzufügen, dass sich eine nach innen gewölbte Form und keine kegelförmige ergab. Sie wölbte sich um eine Opferschale, die so in das Bauwerk eingelassen war, dass nur eine Hälfte herausragte. Die Schale war aus grobem Ton, einfach und unbehandelt, aber der Inhalt zeigte, dass dieser Schrein in Ehren gehalten wurde: ein geschnitzter Knochenkamm, ein abgenutztes, aber intaktes Messer und zwei kleine Kupfermünzen. Für Isak bedeuteten sie nichts, aber für den Hirten, der sie hiergelassen hatte, waren sie wichtig genug. Über der Schale ruhte eine gerundete Schieferscherbe, in die Vrests Hornsymbol gekratzt worden war.
    »Ja«, bestätigte der erfahrene Kämpe mit ernstem Gesicht. »Vor weniger als einem Jahr scherzte ich noch, die Götter könnten so einiges mit dir vorhaben. Achtlose Worte …«
    Der grauhaarige Mann trat beiseite, zog laut die Nase hoch und spuckte auf den staubigen Boden. Für diese Tat erntete er einen strafenden Blick von Tila, woraufhin er den Kopf senkte und nach einem Augenblick der Reue in seinen Geldbeutel griff, um eine Münze in die Opferschale zu werfen. Tilas tadelnder Ausdruck wurde durch jenes gleißende Lächeln ersetzt, dem Carel noch nie hatte widerstehen können. Sie strahlte den Mann an, als wäre der erfahrene Wachmann ein
Fünfjähriger, der gerade richtig und falsch zu unterscheiden lernte.
    Carel kniete vor dem Schrein nieder und sandte seiner Opfergabe ein kurzes stummes Gebet nach. Als der Mann den Kopf senkte, spürte Isak die Berührung einer Brise im Nacken, wie kühlen Atem. Er drehte sich um, aber da war nichts, nur die Gewissheit in seinem Innern, dass der Gott dieses Ortes nah war.
    Isak sandte so vorsichtig wie möglich seine Sinne aus und sah überrascht eine verschwommene, schattenhafte Gestalt, einem Falken ähnlich, die gemächlich über dem Schrein kreiste. Er erkannte erschrocken, wie furchtsam der Geist war. Seltsam, Isak hätte erwartet, dass er sich so weit wie möglich von ihm fernhalten würde. Er legte eine Hand auf den Schrein und spürte den Schauder, der den Geist über ihm durchfuhr. Nun ergab all dies auch einen Sinn: der Gott hatte sich nicht entfernt, weil er nicht zulassen konnte, dass sich Isak zwischen ihn und den Schrein stellte. Der Schrein war alles, was er hatte.
    »Er wurde nicht geweiht«, murmelte Isak.
    »Hm?«, fragte Carel. »Der Schrein? Und das Symbol Vrests?«
    »Ich nehme an, dass der Hirte, der ihn errichtet hat, nicht viel über Religion wusste. Er hat den Schrein vermutlich gebaut, um sich für das Wiederfinden eines verlorenen Lamms oder etwas Ähnliches zu bedanken. Darum ergab es für ihn Sinn, dieses Symbol dort anzubringen. Ihm war nicht bewusst, dass ein Priester den Schrein dennoch weihen muss.«
    »Ich werde es mir aufschreiben und wir unterrichten das nächstliegende Grenzdorf davon, Unmen«, sagte Vesna.
    »Spar dir die Mühe«, sagte Isak. »Es liegt jenseits der Grenze – und der Frieden in Tor Milist wird nicht lange anhalten. Zu viele Söldner. Jeder Priester, der versucht durchzukommen, braucht eine bewaffnete Eskorte. Und so eine Eskorte müsste aus der
Leibwache des örtlichen Lordprotektors stammen – in welchem Fall man uns vorwerfen würde, in diesem Streit Partei zu ergreifen. Oder sie müsste aus Soldaten bestehen, die weder Wappen noch Farben tragen, und die von jedem angegriffen würden, dem sie begegnen.«
    Vesna starrte ihn an, dann lächelte er. »Götter in der Höhe, da machen wir womöglich doch noch einen Lord aus dir!«
    Isak schnaubte und packte Carel am Kragen, um ihn aufzurichten. »Das stimmt vielleicht sogar. Und dies, obwohl ich doch eigentlich nur der Palastgarde beitreten wollte. Ihr Leute solltet besser zuhören, wenn ihr eure Posten verteilt!«
    Das rief Gelächter bei seinen Begleitern hervor. »Wenn Ihr mir diese Erkenntnis verzeiht, mein Lord«, sagte Vesna und sein Lächeln wurde noch breiter, »Ihr habt die Aufnahmeprüfung noch immer nicht bestanden. Ich gebe zu, Ihr habt das eine oder andere auf dem Schlachtfeld vollbracht, das man würdig nennen könnte, aber das bedeutet noch nicht, dass Ihr einfach so in den Reihen der Geister marschieren könnt.«
    Isak zischte in gespielter Verzweiflung auf und klopfte dem Grafen statt einer Antwort auf die Schulter.
    »Ich glaube nicht, dass Kerin dies zulassen würde«, pflichtete Carel ihm bei, »aber mir steht es nicht an, über unverdiente Ehren zu klagen. Ich kann
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