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Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition)
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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weiter, machte zwei, drei Sätze hinein in die Dunkelheit, versuchte sich irgendwo festzuhalten, einen Zweig, einen Ast, einen Überhang zu erwischen, irgendetwas, das seine unkontrollierte Bewegung aufhalten konnte. Zweige peitschen ihm ins Gesicht, als er ein Stück weiterschlitterte, über Morast, glatte Steine und regennasses Holz. Er prallte gegen einen schmalen, durch die Hitze der letzten Wochen ausgedörrten Baum, umschlang ihn mit beiden Armen wie eine Geliebte, drehte sich halb um seine eigene Achse und rutschte weiter. Mit wild rudernden Armen tauchte er unter einem dicken Ast hinweg und unter Geäst, das durch sein Haar fuhr und auf seiner Wange einen blutigen Striemen hinterließ.
    Er merkte es nicht einmal. Sein Herz hämmerte wie wild. Das Schicksal konnte nicht so grausam sein. Seit Wochen war er auf der Suche nach Akuyi, hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, um einen Hinweis auf ihren Aufenthaltsort zu finden. Nur um sie hier, inmitten eines fürchterlichen Unwetters, in diesem düsteren Land der Tausend Hügel wie ein Gespenst aus der Dunkelheit auftauchen zu sehen – und sie dann wieder zu verlieren?
    Das durfte nicht sein.
    Er erreichte die Talsohle. Sein rechter Fuß versank bis weit über den Knöchel im Schlamm, und er musste ihn mit Gewalt herausreißen. Der kaltnasse Matsch drang in seinen Schuh, ein ekelhaftes Gefühl, das tausendmal schlimmer war als die triefend nasse Kleidung, die an seinem Körper klebte. Er legte den Kopf in den Nacken und starrte nach oben, in die Richtung, in der er kurz zuvor Akuyi gesehen hatte. Den dunklen Schatten des Hügels, der sich über ihm erhob, als wolle er ihn erdrücken, erahnte er mehr, als dass er ihn wirklich sah.
    Aber darauf kam es auch nicht an. Wenn er wissen wollte, wo Akuyi abgeblieben war, dann musste er nach dort oben. Und das so schnell wie möglich.
    Er versuchte loszusprinten, leichtfüßig, um die Talsohle so schnell wie möglich hinter sich zu lassen. Aber er hatte die Rechnung ohne den trügerischen Untergrund gemacht, dem er sich leichtsinnigerweise anvertraut hatte. Sein erster, hastiger Schritt endete fast in einer Katastrophe. Es war keine, Pfütze, sondern ein regelrechtes Sumpfloch, in das sein Fuß geriet, und es hätte wohl nur noch etwas mehr Schwung bedurft, um ihn das Gleichgewicht verlieren und kopfüber in die Schlammkuhle stürzen zu lassen, die hier geradezu bösartig auf ihn gelauert hatte. Mit einem verzweifelten Aufschrei warf er sich zurück. Seine Füße fanden festen Untergrund, und er schlitterte ein Stück weiter, bevor er schmerzhaft von einem Felsvorsprung gestoppt wurde und zitternd und keuchend innehielt.
    Er kniff die Augen zusammen und senkte den Blick. Auf dem Boden wurde an einigen Stellen das spärliche Licht reflektiert, vermutlich von jenen Steinen, wie sie auch den Hügel bedeckten, Schuppen eines riesigen Drachen gleich, überraschend gleichmäßig geformt und allesamt von der Größe von zwei bis drei Handspannen. Sie waren seine einzige Chance, den Morast zu überwinden und auf die andere Seite zu kommen.
    Und dass er dorthin kommen musste, und das so schnell wie möglich, stand für ihn außer Frage. Seine Hände zitterten nicht nur wegen der nassen Kälte und des peitschenden Regens, sondern viel mehr noch wegen der Angst, Akuyi nicht mehr wiederzufinden, wenn er erst dort oben war. Immer wieder hatte er sich ausgemalt, wie er sie in den Armen hielt und sie sich an ihn schmiegte wie ein kleines Kind, das sie nicht mehr war, obwohl sie noch immer seinen Schutz brauchte.
    Er legte abermals den Kopf in den Nacken und sah nach oben, in die Richtung, in der er seine Tochter vermutete.
    Er konnte auf dem Hügel keine Bewegung mehr ausmachen, aber es drängte ihn trotzdem weiter. So gut es ging, visierte er die nächste Stelle an, die er für einen Stein hielt, machte einen großen Schritt und setzte den Fuß darauf. Der Untergrund fühlte sich überraschend tragfähig an. Doch schon bei der nächsten reflektierenden Stelle wurde er eines Besseren belehrt – das, was er für soliden Untergrund gehalten hatte, tauchte unter ihm in den Morast ein, und er konnte sich nur mit einem hastigen Schritt auf die nächste halbwegs sicher erscheinende Stelle davor retten, in dem sumpfigen Boden einzusacken und vom feuchten Schoß der Mutter Erde aufgesogen zu werden.
    Er kam nicht weiter.
    Der nächste Blitz zuckte mit vernichtender Wucht herab, schlug krachend und die Erde zum Erbeben bringend in den Hügel ein,
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