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Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition)
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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trinken, das schwor er sich. Morgen auch nicht. Den ganzen Rest der Woche nicht.
    Der Traum, der ihn erschrocken hatte hochfahren lassen, war noch immer in ihm, und er trieb ihn voran. Er hatte von Kinah viel über Traumdeutung gelernt – nicht über die westliche Art, die ihn sowieso nicht interessierte, sondern über einen ganz anderen Ansatz, der viel umfassender war und Träume lediglich als eine andere Form von Realität definierte, und das mit einer Selbstverständlichkeit, die Dirk nie wirklich hatte nachempfinden können.
    Bis heute Morgen …
    Es war ihm klar, dass der Traum ihn irgendwohin nach Afrika geführt hatte, in eine Gegend, die er aus Kinahs Erzählungen und von ihren Bildern kannte. Das Land der Tausend Hügel … Er konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, was es damit auf sich hatte. Vielleicht lag es nur an seinem Kater, der jeden Gedanken zur Qual werden ließ, vielleicht hatte er sich auch zu viele Gehirnzellen weggesoffen, um noch eine detailgetreue Erinnerung heraufbeschwören zu können. Doch darauf kam es nicht an. Der Traum war ein Lebenszeichen von Akuyi, das ihm auf eine für ihn kaum verständliche Weise übermittelt worden war. Ein verzweifelter Hilferuf, der zeigte, wie schlecht es ihr ging und dass sie von Gewalten zerschmettert zu werden drohte, denen sie nichts entgegensetzen konnte und gegen die auch er kaum ankam. Der Traum hatte mit ihren afrikanischen Wurzeln zu tun, mit dem, was sie nicht verleugnen konnte, wollte sie ein ganzer Mensch sein, aber damit auch mit dem, was Dirk schon immer mehr Angst gemacht hatte, als er sich eingestehen wollte.
    Er musste zu ihr.
    Der Gedanke war so lächerlich, dass er beinahe laut aufgelacht hätte. Natürlich musste er zu ihr. Das wusste er schon die ganze Zeit. Doch jetzt fühlte er es auch, nicht nur als Vater, sondern mit jenem Teil seiner Seele, den Kinah immer zu erwecken versucht hatte. »Alle Menschen stammen aus Afrika«, hatte sie immer wieder gesagt, »und in unserer aller Seelen sind all die alten Bilder und Sehnsüchte gespeichert, die uns seit Menschengedenken vorangetrieben haben. Du musst sie nur finden in dir, und dann musst du bereit sein, sie anzunehmen.«
    Dirk erreichte den Schreibtisch, auf dem sein Notebook dank der zur Zeit schnellsten verfügbaren DSL-Verbindung ständig mit dem Internet verbunden war und sein ganz eigenes Leben führte. Gestern hatte er sich, bereits leicht alkoholumnebelt, mit einem der widerlichsten Themen beschäftigt, auf die er bei seiner verzweifelten Suche nach seiner Tochter gestoßen war: mit Kinder- und Menschenhandel. Mario, sein ältester und bester Freund, hatte ihn auf diese Spur gebracht, er hatte irgendwelche abstrusen Theorien entwickelt, was dazu geführt hatte, dass sie sich in den Tagen nach Akuyis Verschwinden so kräftig in die Haare geraten waren, dass Dirk Mario schließlich achtkantig rausgeschmissen hatte (was er mittlerweile ebenso sehr bedauerte wie die Tatsache, dass er den Kontakt zu jedem anderen Menschen abgewürgt hatte, der ihm seine Hilfe angeboten hatte).
    So verworren Marios Theorie auch in Dirks Ohren geklungen hatte – sie hatte ihn gezwungen, in eine Richtung zu denken, die er zunächst nicht hatte sehen wollen. Es war erschreckend, wie viele Einträge es zum Thema Kinder- und Menschenhandel gab – alleine in Google waren es mehrere hunderttausend gewesen –, und noch viel erschreckender, worauf man in Newsgroups und scheinbar geschlossenen Bereichen stoßen konnte, wenn man nur ein wenig hartnäckig war.
    Es drehte ihm jedes Mal den Magen um, wenn er sich damit beschäftigte – mit der Möglichkeit, dass Akuyi einem Menschenhändlerring zum Opfer gefallen sein könnte. Aber das war es nicht, was ihn erschrocken stehen bleiben ließ, als sein Blick auf den großen Flachbildschirm an der Wand fiel. Es war wie das Eintauchen in seinen Traum, es war, als gäbe es keine Grenze mehr zwischen der Realität und dem, was er im Schlaf zusammenfantasiert hatte. Der Monitor zeigte keine Datenbankabfrage, keinen Text, keine Computergrafik, er war plötzlich zum Fenster in eine andere Welt geworden.
    In eine Welt, in der ein Unwetter tobte. Dunkle Wolken hingen am Himmel, wurden von einem heftigen Wind auseinandergerissen, formierten sich wieder, verwirbelten erneut – ein düsterer, gefährlicher Anblick, der jeden, der ihm in freier Natur begegnet wäre, in aller Hast einen Unterschlupf hätte suchen lassen. Ein Blitz fuhr durch die unruhige
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