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Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition)
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Wolkendecke, zerriss die Dunkelheit, leuchtete die Szene für einen Moment gnadenlos aus.
    Es hätte für Dirk keine Überraschung sein dürfen, was der Blitz enthüllte. Er hätte darauf vorbereitet sein, es mit einem Achselzucken abtun müssen.
    Das Gegenteil war der Fall.
    Seine Beine gaben plötzlich nach, und er musste einen hastigen Schritt nach vorne machen, um sich an der Lehne seines Schreibtischstuhls festzuhalten. Die zwei Hügel waren nun wieder vom Regengrau verdeckt, aber es schien, als leuchteten sie noch für eine Weile nach, nachdem der Blitz seine Energie verschwendet hatte. Als gelänge es ihnen nicht, sich vollständig seinem Blick zu entziehen. Es waren die Hügel aus seinem Traum, eine Gegend, die er vor dieser schrecklichen Nacht noch nie gesehen hatte, weder im Wach- noch im Schlafzustand, zumindest, soweit er sich erinnern konnte.
    Ein kalter Schauer überlief ihn. Er dachte an all die merkwürdigen Geschichten, die Kinah ihm über ihre Heimat erzählt hatte. Über die Heimat aller Menschen, wie sie immer wieder betont hatte. Über den Kontinent, auf dem jene beiden Hügel einander gegenüberlagen wie zwei verfeindete Brüder, die sich belauerten und nur auf die Gelegenheit zum Zuschlagen warteten.
    Dirk trat noch einen Schritt vor und ließ sich in den Stuhl fallen, der daraufhin ein Stück zurückrollte und ein paar achtlos auf den Boden geworfene Rechnungen zerknüllte.
    Nein, Kinah hatte ihm nicht von diesen Hügeln erzählt, niemals, und doch wusste er mit unerschütterlicher Gewissheit, dass sie in Afrika lagen. Er rollte den Stuhl so weit es ging an den kleinen Schreibtisch, den er sich hier im Schlafzimmer gegönnt hatte, ursprünglich nur, um vor dem Schlafengehen noch ein bisschen zu programmieren oder sich mit einem Ego-Shooter zu entspannen. Ganz vorsichtig streckte er die Hand aus. Die Szenerie vor ihm wirkte derart plastisch, als sähe er sie nicht auf einem Monitor, sondern wäre auf geheimnisvolle Weise in der Lage, durch den flachen Schirm hindurch auf den Ausschnitt einer realen, weit entfernten, von einem heftigen Unwetter gebeutelten Landschaft zu blicken. Er glaubte sogar, die kalte Luft zu spüren, die der Sturm über das Land blies, und das Prasseln des Regens zu hören, obwohl er die Lautsprecher wie gewöhnlich gar nicht eingeschaltet hatte.
    Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Sie waren rissig, und sein Mund fühlte sich trocken an. Er hatte viel zu tief in die Flasche geguckt. Dieser verfluchte Alkohol. Er war dabei, sich um den Verstand zu saufen, das war alles. Das, was er da vor sich sah, war eine raffinierte 3-D-Animation oder ein Film, dem man nachträglich im Computer Tiefenwirkung verpasst hatte. Wahrscheinlich lief er in einer Endlosschleife schon seit gestern Abend, mit dem immer wieder zuckenden Blitz und der ewig gleichen, durcheinanderwirbelnden Wolkendecke. Und natürlich hatte Dirk in seinem Suff auf dieses künstlich aufbereitete Unwetter gestarrt, eine Flasche in der rechten Hand, die linke um die Armlehne gekrallt, wie er es in letzter Zeit so häufig tat.
    Das Filmchen hatte sich in sein Unterbewusstsein eingebrannt, und er hatte es in den Schlaf mitgenommen, so einfach war das. Der ganze Traum war nichts weiter als eine Erinnerung an das, was er vor dem Wegdämmern als Letztes gesehen hatte, durchzogen von seiner Angst um Akuyi.
    Ein kalter Hauch streifte sein Gesicht, und er drehte den Kopf ein Stück und schlang zitternd die Arme um den Oberkörper. Es war kalt, so fürchterlich kalt, und das, obwohl er schwachsinnigerweise die Heizung auf Kinahs Lieblingstemperatur eingestellt hatte und es eher schweißtreibende Wärme hätte sein sollen, die ihn plagte. Doch die Kälte drang durch seine schon seit vielen Tagen nicht mehr gewechselte Kleidung und ließ ihn beben. Aber das war es nicht, was seinen Atem beschleunigte. Etwas kratzte am Rande seines Bewusstseins wie dürre, harte Finger, die Einlass begehrten und von ihm verlangten, dass er nicht länger weg-, sondern vielmehr genau hinsah. Egal, was Akuyi passiert war: Sie war ihm von dem genommen worden, was Kinah aus ihrer Heimat mitgebracht hatte, von all dem faulen Zauber, der erst Kinahs Herz und dann dasjenige ihrer gemeinsamen Tochter vergiftet hatte. Akuyi hatte sich in eine Gefahr begeben, die etwas mit ihrer Herkunft zu tun hatte und mit all den Büchern und dem Krempel, die sie in den letzten Wochen in ihrem Zimmer aufgehäuft hatte.
    Das war es.
    Er schob den Stuhl wieder ein
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