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Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition)
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Stück zurück. Er war während der vergangenen Wochen nicht nur einmal unruhig aufgesprungen und in Akuyis Zimmer gegangen, um alles zu durchstöbern, was sie ihm so chaotisch hinterlassen hatte. Er hatte versucht, Ordnung in ihre Sachen zu bringen, sie nach logischen Kriterien zu sortieren: Bücher und Schreibutensilien; CDs und DVDs; ausrangierte, in irgendwelche Ecken geworfene Kuscheltiere und natürlich die afrikanischen Bilder, Artefakte und Kitschgegenstände, von denen sie erschreckend viele in ihrem Zimmer hatte. Das, was er gesucht hatte – ein Tagebuch, eine Ton- oder Bildaufzeichnung, eine flüchtig hingekritzelte Notiz in einem Buch oder auf einem Fetzen Papier – etwas, das Aufschluss darüber gab, wohin sie verschwunden war (freiwillig, wie ihm eine böse innere Stimme zuflüstern wollte, und nicht verschleppt von irgendwelchen bösen Jungs), hatte er nicht gefunden.
    Sein Fehler war es gewesen, Akuyis chaotische Ordnung zu zerstören. Denn diesem Chaos hatte eine Logik innegewohnt, die er zwar gespürt, aber nicht zu deuten gewusst hatte. Er musste den Originalzustand wiederherstellen, so gut es ihm möglich war, und sich dann noch einmal an die Suche machen. Zum Glück war er schlau genug gewesen, Akuyis Zimmer aus jeder nur denkbaren Perspektive zu fotografieren, bevor er sich daran zu schaffen gemacht hatte.
    Dirk griff nach der Funkmaus, um die Fotos auf seinem Notebook aufzurufen. Aber das hätte bedeutet, dass er das magische Bild der zwei sturmumtosten Hügel hätte ausblenden müssen. Das Bild, das ihn mit Akuyi verband, selbst wenn ein Teil seines Verstandes ihm sagte, dass er sich mit solchen Gedanken langsam, aber sicher von dem verabschiedete, was man Normalität nannte.
    Ein ganze Zeit lang verharrte er bewegungslos in seinem Stuhl. Zusammenhanglose Bilder von afrikanischen Symbolen wirbelten durch seinen Kopf, und sie alle hatten etwas mit seinem Traum zu tun und mit Akuyi, die – dessen war er sich plötzlich sicher – heute Nacht verzweifelt nach ihm gerufen hatte.
    Sie war in Gefahr, in akuter Lebensgefahr. Und wenn es einen Menschen auf der Welt gab, der ihr helfen konnte, dann er.
    Dirk stand mit einem Ruck auf, schob den Stuhl zurück und trat hinaus auf den Flur. Während er zu der Treppe ging, die zu Akuyis Zimmer führte, spürte er, wie eine eisige Kälte seine Beine umwehte. Das war unmöglich. Alle Fenster waren geschlossen und die Heizung auf vierundzwanzig Grad eingestellt. Einen kalten Luftzug konnte es hier einfach nicht geben.
    Doch es wurde sogar noch kälter, als Dirk den im Parkett steckenden Holzspeer passierte, der vor zwei Wochen, nachdem er versehentlich die Tür zu Kinahs Zimmer zugeknallt hatte, wie von Geisterhand geschleudert auf ihn niedergegangen war und ihn knapp verfehlt hatte. Damals hatte er geglaubt, einen Schatten weghuschen zu sehen, der verdächtig nach Kinah ausgesehen hatte … Er biss sich auf die Unterlippe, wie jedes Mal, wenn sich seine Gedanken in eine Richtung verirrten, die ihn nicht weiter-, sondern höchstens in die Klapsmühle bringen würde. Dann schlug er fröstelnd den Kragen seines Hemdes hoch und eilte die Treppe hinauf. Der Speer war einfach schlecht befestigt gewesen und hatte sich durch die Erschütterung beim Türenzuschlagen gelöst. Und der Schatten, den er zu sehen geglaubt hatte, war nichts weiter als ein Produkt seiner überbordenden Fantasie, und damit basta.
    Auf der Galerie, die wie die Holzveranda eines afrikanischen Herrenhauses gefertigt war, begrüßten ihn die beiden Skulpturen, die Kinah in ihrer letzten Schaffensphase gefertigt hatte. Die eine war aus afrikanischem Schwarzholz geschnitzt, die andere aus dem hellen, fast weißen Holz einer Ebenaceengattung aus dem Herzen Afrikas. Mit ein wenig Fantasie waren sie als Mann und Frau zu erkennen, die sich mit leicht angewinkelten Armen halb gegenüberstanden, halb voneinander abwendeten. Dirk wäre nie auf die Idee gekommen, sie von hier zu entfernen und zu den halbfertigen Skulpturen und Plastiken im Schuppen hinter der Garage zu stellen, empfand jedoch jedes Mal, wenn er sie sah und an ihnen vorbeigehen musste, ein gewisses Unbehagen.
    Mit schnellen Schritten hastete er an den fast mannshohen Skulpturen vorüber. Er hatte beinahe das Gefühl, als würden sie ihn mit Blicken durchbohren. Als er Akuyis Zimmer erreichte, musste er sich schwer atmend am Türrahmen abstützen. Sein Kreislauf fuhr Achterbahn, und die Kopfschmerzen, die er fast vergessen hatte, meldeten
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