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Sturm der Seelen: Roman

Sturm der Seelen: Roman

Titel: Sturm der Seelen: Roman
Autoren: Michael McBride
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hinmüssen?«, fragte die Lederjacke.
    »Ja«, antwortete die junge Mutter und sah dabei ihr Kind an.
    »Das ist der Ort, von dem ich geträumt habe«, flüsterte er.
    »Der Ort, von dem du geträumt hast?«, fragte Richard höhnisch. »Dann besteht ja nicht der geringste Zweifel, wie?«
    »Lassen Sie ihn in Ruhe«, sagte die Frau, die mit dem Mann mit der Lederjacke gekommen war.
    Die Mutter stellte sich vor ihren kleinen Jungen, brachte es aber nicht fertig, Richard in die Augen zu sehen. Er hatte etwas Einschüchterndes an sich, und wenn es einen Wesenszug gab, den sie zu erkennen gelernt hatte, nachdem sie sich immer und immer wieder die falschen Männer ausgesucht hatte, dann war es dieser subtile Ausdruck in den Augen eines Mannes, der es gewohnt war zu bekommen, was er wollte, sei es durch Geschick oder durch Gewalt.
    »Wartet auf mich!«, schrie die Blonde hundert Meter hinter ihnen, immer noch auf dem Highway. »Mein Gott, bitte, wartet auf mich!«
    Garrett drehte sich um und schleppte sich mit schweren Schritten über den Asphalt, bis er endlich bei ihr war, damit sie einen Arm um seine Schulter legen und er die Hauptlast ihres Gewichts übernehmen konnte.
    »Wie rührend«, stöhnte Richard und schritt entschlossen davon durch den Torbogen, hinaus in die Wüste.
    Er hörte, wie zögerliche Schritte sich hinter ihm über den Schotter schleppten und dann vorsichtig den Sand betraten. Sie folgten ihm, aber er dachte nicht einmal daran, sich umzudrehen. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen.
    »Viehtrieb«, flüsterte er und beschleunigte seinen Schritt in der vollen Gewissheit, dass sie das Gleiche tun würden.

V
     
    MORMON TEARS
     
    Vor ihr erstreckte sich eine endlose Eisfläche, begraben unter meterhohem Schnee. Der Wind heulte und trieb riesige Flocken vor sich her, wirbelte Wolken aus weißem Pulver vom Boden auf. Am äußersten Rand ihres Gesichtsfeldes konnte Jill Flammen erahnen, die dort auf einer Insel brannten – eine blasse Aura aus Licht, das ihr drohend durch das weiße Glitzern zuzwinkerte. Selbst aus dieser Entfernung konnte sie den Rauch riechen, und sie wusste, dass es nicht nur brennendes Holz war, das sie da roch, sondern versengtes Fleisch und kochendes Blut, das aus verkohlten Knochen quoll. Ein Geruch wie eine bizarre letzte Ölung für das bisschen Hoffnung, das sie noch hatte.
    Jill drehte sich zu der nackten Felswand hinter ihr um, die vom Rauch des in der Höhle brennenden Feuers allmählich schwarz wurde. Zwischen ihr und der Höhlenbehausung war ein Wall aus Schnee aufgeschüttet, aus dem angespitzte Holzpflöcke ragten wie die Dornen eines Stachelschweins. Der Wall erstreckte sich zu beiden Seiten so weit, wie sie sehen konnte. Er folgte dem Verlauf des Ufers und führte dann hinaus auf den See, wo sie Flecken dunklen, offenen Wassers sah, die von irgendeiner Wärmequelle freigeschmolzen worden waren.
    Hinter der Befestigungsanlage aus Schnee – dort, wo die anderen sich versteckt hielten und auf ihre Gelegenheit warteten, auch wenn sie beteten, dass sie niemals kommen würde – stiegen dünne, weiße Atemwölkchen auf. Sie konnte ihre Angst spüren, auch wenn sie keinen von den anderen sehen konnte.
    Dann hörte sie ein durchdringendes Zischen wie von Dampf, der aus einem Sicherheitsventil schießt, und wirbelte herum. Eine schwarze Flutwelle ergoss sich über den See und rollte über die Eisfläche direkt auf sie zu. Überall um sie herum zerrissen Schreie die Stille der Nacht, und auch Jill fiel mit ein in den Chor hysterischer Stimmen …
    »Mein Gott! Geht es ihr gut?«, fragte eine Stimme, die sie nicht kannte. Jill riss die Augen auf und sah einen Jungen in etwa ihrem Alter, der mit großen, blauen Augen auf sie herunterblickte. Sein Nasenrücken hatte einen kleinen Höcker, darunter machte er einen scharfen Knick nach links, als hätte er sich die Nase erst kürzlich gebrochen. Sie wusste, dass sie ihn noch nie zuvor gesehen hatte, doch kam ihr alles an ihm, einschließlich seiner kurzen, dunklen Haare, zutiefst vertraut vor.
    Erst jetzt merkte sie, dass sie immer noch aus vollem Hals schrie.
    »Geht es dir gut?«, fragte der Junge ein weiteres Mal und blickte fragend nach rechts. »Wie heißt sie?«
    »Jill«, sagte April, ergriff sie bei den Schultern und beugte sich ganz dicht zu ihr hin. Der Geruch von Aprils Morgenatem ließ Jill zusammenzucken.
    »Sprich mit mir«, sagte der Junge. »Ist alles okay bei dir?«
    Jill konnte ihre Augen nicht von seinem Gesicht
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