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Stumme Zeugen

Titel: Stumme Zeugen
Autoren: authors_sort
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herunter, den Blick auf die Haustür gerichtet. Sie ging schnell durch das Wohnzimmer und zog die Vorhänge
auseinander. Wahrscheinlich will sie sich vergewissern, dass Toms Pick-up weg ist, dachte Annie. Doch er stand vor dem Haus. Entsetzt drehte sich ihre Mutter um und sah Tom, Annie und William gemeinsam am Küchentisch sitzen. Sie wurde kreidebleich, und für einen Augenblick hatte Annie Mitleid mit ihr. Aber nur für einen Augenblick.
    »Tommmmm.« Ihre Mutter zog den Namen in die Länge und hob die Stimme. So wurde gleichsam ein Satz daraus, der vieles bedeuten konnte, aber in erster Linie eines sagte: Warum bist du immer noch hier? » Musst du nicht zur Arbeit?«, fragte sie schließlich.
    Tom war Fahrer bei UPS. Meistens sah Annie ihn nach Feierabend in seiner viel zu engen braunen Montur.
    »Doch.« Er stand so schnell auf, dass er Kaffee verschüttete. »Ich sollte mich besser auf den Weg machen, sonst komme ich noch zu spät.«
    Annie beobachtete, wie Tom und ihre Mutter auf dem Weg zur Haustür Blicke austauschten, und sie dankte Gott, dass es keinen Abschiedskuss gab. Andernfalls hätte sie sich wahrscheinlich übergeben.
    »Tom nimmt mich nach der Schule zum Angeln mit«, sagte William.
    »Das ist schön«, antwortete seine Mutter zerstreut.
    »Los, putz dir die Zähne«, sagte Annie zu ihrem Bruder, ganz die kleine Erwachsene. »Wir müssen los.«
    William eilte die Treppe hoch, und Annie schaute ihre Mutter an.
    »Annie …«
    »Wirst du ihn heiraten?«
    Ihre Mutter seufzte, schien nach den richtigen Worten zu
suchen. Sie hob langsam die Hände und ließ sie wieder fallen, als hätte sie plötzlich keine Kraft mehr. Das beantwortete Annies Frage.
    »Du hast gesagt …«
    »Ich weiß«, antwortete ihre Mutter ungeduldig und mit Tränen in den Augen. »Du verstehst das nicht. Vielleicht wirst du es eines Tages begreifen.«
    Annie stand auf und spülte die Schüsseln für die Cornflakes aus. Als sie fertig war, schien sich ihre Mutter nicht von der Stelle gerührt zu haben.
    »Oh, ich verstehe sehr gut.« Sie zeigte auf die Treppe. »Bei William ist das anders. Er glaubt, er bekommt einen neuen Vater.«
    Ihre Mutter atmete scharf ein, fast so, als hätte Annie ihr eine Ohrfeige verpasst. Was Annie egal war.
    »Wir reden später«, sagte ihre Mutter, als Annie sie stehen ließ und durch die Hintertür ging, um im Garten auf William zu warten. Sie wusste, dass ihre Mutter darunter litt, keinen Abschiedskuss bekommen zu haben. Zu schade, dachte sie. Aber sie ist in letzter Zeit ja oft genug geküsst worden.
     
    Um zwölf wartete Annie mit ihrem Bruder vor der Schule auf Tom, doch von seinem Pick-up war nichts zu sehen. Als ein Lieferwagen von UPS um die Ecke kam, schüttelte William triumphierend die Faust. »Ja!«
    Aber der Wagen bremste nicht ab, und hinter dem Steuer saß ein anderer Fahrer.
    Nachdem sie zu Hause Toms Angel und die Weste stibitzt hatte, ging Annie mit ihrem Bruder am Rand des Highways
entlang. Sie wusste, dass es irgendwo in der Nähe einen Fluss gab. Kurz darauf fuhr vor ihnen eine Frau in einem kleinen gelben Pick-up an den Straßenrand.
    »Wo wollt ihr beiden denn hin?«, fragte sie mit einer hohen Kleinmädchenstimme. Annie mochte sie vom ersten Augenblick an nicht. Sie war eine dieser ältlichen Frauen, die sich in Verkennung der Realität für jung und attraktiv hielten.
    »Zum Angeln«, sagte Annie. »Oben am Fluss.«
    Die Frau sagte, sie heiße Fiona Pritzle und fahre auf dem Land die Post aus. Sie müsse in die Richtung und könne sie mitnehmen. »Gern, vielen Dank«, sagte Annie, obwohl William den Kopf schüttelte.
    Während sie durch den Wald fuhren und schließlich zwischen den Bäumen hin und wieder den Fluss sahen, plapperte Fiona die ganze Zeit. Sie tut so, als hätte sie Interesse an uns, doch das stimmt nicht, dachte Annie. Fiona wollte sie davon überzeugen, dass sie als Postbotin eine äußerst wichtige Aufgabe habe, der nicht jedermann gewachsen sei. Ganz so, als erwarte sie, dass Annie sagte: »Wow, Sie fahren wirklich die Post aus?« Fionas Parfüm stank penetrant, und Annies Augen begannen zu tränen. Sie stieß William, der sich die Nase zuhielt, in die Rippen.
    »Können Sie uns hier rauslassen?«, fragte Annie an einer Stelle, für die nur sprach, dass man den Fluss sehen konnte.
    »Sicher, dass eure Eltern nichts dagegen haben?« Die Frage hätte Fiona Pritzle auch eher einfallen können.
    »Kein Problem, sie wissen Bescheid«, log Annie.
    Sie bedankten sich
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