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Stumme Zeugen

Titel: Stumme Zeugen
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ist, dass es euch zu Tode geängstigt hat.«
    Er blickte wieder auf die Straße. Annie hätte zu gern gesehen, wie weit der weiße Geländewagen noch entfernt war. Sie legte einen Arm um ihren Bruder und beobachtete Swann.
    »Sie wollen, dass ich anhalte«, sagte Swann, ohne hinabzublicken.
    »Bitte, tun Sie es nicht!«
    »Wenn ich nicht anhalte, werden sie sich fragen, warum.«
    Annie hatte das Gefühl, laut aufschreien zu müssen, beherrschte sich aber.
    Der Pick-up wurde langsamer, und sie drückte William noch fester auf den Boden. Ihre Hand lag auf seiner Brust, und sie spürte seinen Herzschlag. Sie schloss die Augen, als könnte das bewirken, dass die Männer sie ebenfalls nicht sahen.
    Swann kurbelte das Fenster herunter. »Tag, Mr Singer.«
    »Hallo«, sagte Singer. Vermutlich der Fahrer, dachte Annie. Und Mr Swann kannte ihn!
    »Sind Ihnen auf dieser Straße vielleicht zwei Kinder aufgefallen?«, erkundigte sich Singer.
    »Ihre?«, fragte Swann.
    »Nein. Meine sind erwachsen und verheiratet, wie Sie wissen. Keine Ahnung, was für Kinder das sind. Ich war mit meinen beiden Kumpels angeln, und dann haben wir am Fluss
ein bisschen rumgeballert und die beiden Kinder erschreckt. Nur ein paar Schießübungen, wir hatten keine Ahnung, dass sie in der Nähe waren. Vielleicht glauben sie, was gesehen zu haben, das sie gar nicht gesehen haben können.«
    »Schießübungen?«
    »Richtig, wir trainieren jeden zweiten Monat, um in Form zu bleiben. Wie auch immer, wir möchten den beiden Kindern sagen, dass wir sie nicht erschrecken wollten.«
    »Sie haben sie zu Tode erschreckt, was?«, fragte Swann.
    Annie riskierte einen Blick auf Swann. Bitte glauben Sie ihnen nicht!, wollte sie rufen.
    »Ja, leider. Wie auch immer, wir wollen ihnen sagen, dass alles in Ordnung ist.«
    »Und, ist alles in Ordnung?«
    Singer antwortete nicht.
    »Ja, wenn wir sie gefunden haben«, sagte ein Mann mit mexikanischem Akzent. Wahrscheinlich der Dunkelhäutige mit dem Schnurrbart, dachte Annie.
    »Sie haben die beiden also nicht gesehen?« Das war wieder Singer.
    Swann antwortete nicht sofort.
    Mit geschlossenen Augen versuchte Annie, sich auf den Tod vorzubereiten. Den folgenden Wortwechsel bekam sie nicht vollständig mit, weil das Blut in ihren Ohren so laut rauschte. Sie hörte nur, dass Swann sagte, er müsse weiterfahren, weil hinter ihm ein Auto sei und er den Weg versperre.
    »Ja, sie sollten besser nach Hause fahren«, sagte Singer.
    Als sich der Pick-up wieder in Bewegung setzte, konnte Annie ihr Glück kaum fassen.

    »Ihr solltet noch eine Weile unten bleiben«, sagte Swann.
    »Wohin bringen Sie uns?«, fragte Annie.
    »Ich wohne nicht weit von hier und muss telefonieren.«
    »Warum fahren Sie uns nicht nach Hause?«
    »Weil ich diesen Typen nicht noch mal begegnen will«, antwortete Swann. »Ich kenne sie aus der Zeit, als ich bei der Polizei war, und die Geschichte, die sie mir gerade aufgetischt haben, klingt nicht besonders plausibel.«
    »Weil wir Ihnen die Wahrheit gesagt haben.« Annie stiegen wieder Tränen in die Augen.
    »Vielleicht«, sagte Swann. »Behaltet die Köpfe unten.«

Freitag, 16.40 Uhr
    Jess Rawlins stand im Round Pen in der Nähe der Koppel und machte Bodenarbeit mit seinem neuen Pferd, als auf dem südlichen Hügel ein neuer Lexus zwischen den Bäumen auftauchte und auf seine Ranch zukam. Er war überrascht, denn er hatte sich ganz auf die Stute konzentriert. Sie hieß Chile. Dreieinhalb Jahre, Stockmaß eins fünfundvierzig, Gewicht knapp fünfhundert Kilo, rötlich-braunes Fell. Er war in eine Art Trance verfallen, wie hypnotisiert von diesem fast schon vergessenen Klang und Rhythmus der Hufschläge, die den Boden unter seinen Füßen erzittern ließen. Vor ein paar Augenblicken hatte er, während er die Stute rechts herum longierte, gleichzeitig mit den dumpfen Hufschlägen ein paar scharfe, knallende Geräusche gehört,
die ihn für einen Moment irritierten, doch dann begriff er, dass sie nichts mit der Gangart des Pferdes zu tun hatten. Auf sein Kommando hin war die Stute sofort stehen geblieben und hatte ihn brav angeblickt, schwer schnaufend, sich über die Lippen leckend. Er lauschte, doch aus der Ferne waren keine weiteren Schüsse zu hören.
    Wenn das bewaldete Tal, in dem seine Ranch stand, einem Sattel glich, dann standen sein Haus und die Stallungen gleichsam direkt unterhalb des Sattelknaufs. Von dort konnte er jeden sehen, der vom Highway abbog und in Richtung seiner Ranch fuhr. In der
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