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Straße der Diebe

Straße der Diebe

Titel: Straße der Diebe
Autoren: Mathias Enard
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los, dabei wirkte er ratlos – seit wir hier waren, hatte er kein Wort gesprochen, ich glaubte sogar, er sei eingeschlafen, im Anzug, wie ein meditierender Buddha.
    Auf dem ganzen Rückweg hielt sein Schweigen an; mit gesenktem Blick fixierte er den Asphalt und hob den Kopf nur, um sich zu vergewissern, dass ich noch immer bei ihm war.
    Wir gelangten durch das Schifffahrtsmuseum und das zur See hin gelegene Tor des Raval in mein Viertel und gingen dann bis zur Carrer Sant Pau und der Rambla hinauf. Plötzlich zeigte Bassam mehr Interesse; Pakistanis spazierten in kleinen Gruppen umher, Araber stritten um ein wenig Gras vor den Sandwich-Bars; Kinder spielten um die riesige Katze aus Metall, hängten sich respektlos an ihre stählernen Barthaare, setzten sich zwischen ihre Ohren und versuchten, sie wie einen Elefanten zu führen. In Erinnerung an Tanger und die gute alte Zeit wollte ich Bassam in das marokkanische Restaurant an der Carrer Robadors zum Essen einladen – zuvor mussten wir allerdings noch seine Tasche abstellen. Er hatte sie den ganzen Nachmittag, ohne zu meckern, mit sich herumgeschleppt. Es war eine einfache Reisetasche aus Stoff mit zwei Ledergriffen; ich weiß nicht, warum mich diese Tasche an das Attentat von Marrakesch denken ließ. Mir wurde klar, dass ich weder wusste, was Bassam in Barcelona tun, noch, wann er abreisen wollte. Ich wusste nicht einmal genau, woher er kam.
    An der Ecke der Robadors, bei der Tariq-ibn-Ziyad-Moschee, hatten zwei schwarze Nutten ihren Arsch auf die Parkpoller gesetzt; Miniröcke in blauem Wildleder, hohe Absätze, Bustiers, die Brüste hingen halb aus dem Mieder.
    Als Bassam sie sah, zog er ein Gesicht, als würde er gegen eine unsichtbare Wand laufen; er wechselte die Straßenseite.
    Vor unserem Hauseingang wollte er sich schieflachen. Sag mal, Alter, dein Hotel ist ja eine Klasse für sich. Ein echter Palast, Khouya . Selbst bei uns findest du nichts, was so verkommen aussieht, la samah Allah .
    Ich bin nicht darauf eingegangen. Ich hoffte nur, dass uns nicht auch noch eine Ratte über den Weg lief.
    Ich zeigte Bassam unsere Wohnung; ich stellte ihm Mounir vor, der sich in aller Ruhe vor dem Fernseher die Zehennägel mit einer Messerspitze putzte – Bassam richtete kaum ein Wort an ihn. Gerade mal einen Gruß, eine leere Formel, eine Hand auf der Brust, mit abwesendem Blick. Mounir sah mich fragend an. Ein Jugendfreund, sagte ich. Er wird ein paar Tage auf dem Sofa schlafen.
    Bassam drehte dreimal eine Runde durch die Bude, bezog auf dem Balkon Stellung, beobachtete die Straße.
    Ich schlug ihm vor, essen zu gehen, er war einverstanden.
    Als wir das Haus verließen, stießen wir auf zwei Betrunkene, die ausgiebig an die Fassade pinkelten, was von den Bettlern, die darauf warteten, dass die Evangelisten öffneten, damit sie zu ihren Liedern und ihrer Mahlzeit kamen, johlend begrüßt wurde.
    Es war Samstag, an der Kreuzung war das horizontale Gewerbe in vollem Gange; in der Dunkelheit zogen zwei oder drei Dealer ihre Kreise; ein Junkie ohne Stoff kotzte eine Ladung Galle an eine Straßenlampe, bespritzte zwei Schaben von der Größe eines Frosches, die träge aus dem anliegenden Restaurant kamen.
    Das Lokal war fast leer – ich begrüßte herzlich die Wirte, stellte ihnen Bassam vor, einen Jugendfreund aus Tanger. Sie hießen ihn in Barcelona willkommen. Wir setzten uns an einen Seitentisch; im hinteren Teil des Lokals sendete Al-Dschasira in einer Endlosschleife Bilder verschiedener Massaker, aus Syrien oder Palästina, unterbrochen von gewaltsamen Demonstrationen in Griechenland oder in Spanien.
    »Toll, dass du da bist.«
    Er hatte es eilig, das Abendessen zu bestellen.
    Die Aussicht auf ein heimatliches Abendessen hatte das Lächeln in Bassams Gesicht zurückgebracht. Dass er vor mir saß, einfach so, wie früher, erinnerte mich an Tanger, an Meryem. Ich wusste nicht, wo beginnen. Mein Schenkel zitterte nervös unter dem Tisch.
    »Deine Mutter hat mir zufällig einen alten Brief von dir gegeben. Mit dem Brief von Meryem. Du hättest es mir ruhig sagen können.«
    Plötzlich sah er sehr überrascht aus, er rollte aufgeregt die Augen, damit hatte er ganz und gar nicht gerechnet; schließlich sprach er es aus:
    »Ich hatte Angst, dir wehzutun. Als du zurückgekommen bist, hatte ich nicht den Mut. Es war sowieso zu spät. Ich hätte alles vernichten sollen, damit du es nicht erfährst.«
    Er schaute auf das Tischtuch.
    »Alles kommt einmal ans Licht«, sagte ich
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