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Straße der Diebe

Straße der Diebe

Titel: Straße der Diebe
Autoren: Mathias Enard
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achten nichts, nicht einmal die Wahrheit. Diese Hosenscheißer tun alles, um ihre Macht zu erhalten. Dann fasste er sich wieder, alles in allem war es ja nicht schlecht, im Hintergrund zu bleiben, das verschaffte dem Protest eine bessere Legitimation. Außerdem kamen aus Ägypten ausgezeichnete Nachrichten: Die Muslimbrüder waren sich sicher, dass sie als große Sieger aus den freien Wahlen hervorgehen würden, sollten diese stattfinden, und dass sie die Regierung bilden würden. Die erste seit dem algerischen Betrug zwanzig Jahre zuvor.
    Mindestens eine Woche lang war ein Heidendurcheinander in Tanger, aber Cheikh Nouredine erkannte genau, dass es nicht den tunesischen oder den ägyptischen Weg gehen würde, der Palast war schlauer oder legitimer (ist nicht der König der Führer der Gläubigen?), und dass man, sollte es zu einer Verfassungsreform kommen, ein Bündnis mit einer bestehenden Partei eingehen müsse.
    Einige Wochen später erließ der König eine Amnestie für ein ganzes Kontingent politischer Gefangener, darunter Mitglieder der Gruppe, die seit den großen Razzien nach den Attentaten von Casablanca in den Jahren zuvor in den Kerkern des Regimes vegetierten. Der Cheikh war euphorisch. Er begrüßte seine Gefährten, als ob es sich um den aus Ägypten zu seinen Brüdern zurückkehrenden Joseph handelte. Das »Haus der Verbreitung des koranischen Gedankenguts« wurde ein Bienenkorb von Bärtigen.
    Mir war daran gelegen, dass all diese Umtriebe rasch endeten, damit ich wieder wie gewohnt lesen konnte und ungestört blieb. Die Gruppe war ein rechter Sack voll Flöhe, und solange sie auf den Abend und ihre Aktion warteten, drehten sie sich im Kreis. Sie hatten beschlossen, das Durcheinander, die Demos und die Polizei zu nutzen, um eine »Reinigung des Viertels« durchzuführen, wie sie es nannten. Bassam, der es eilig hatte, sich am Erstbesten für seine gebrochene Nase von neulich zu rächen, stand an der Spitze der Schläger. Nach einem kriegerischen und wortgewaltigen Sermon von Cheikh Nouredine, der von den Feldzügen des Propheten handelte, von der Schlacht von Badr, der Grabenschlacht, von den Banu Qainuqa, von Hamza, dem Helden, vom Ruhm der Märtyrer im Paradies und von der Schönheit, der großen Schönheit des Todes in der Schlacht, schwärmten sie in zehn Mann starken Gruppen aus, bewaffnet mit Knüppeln und Hackenstielen. Aufgehetzt von diesem theoretischen Vorglühen, eilten sie fast im Laufschritt in die Nacht hinaus, Bassam mit seiner Gereiztheit und einem Knüppel in der Hand voran. Ich habe nicht mitbekommen, wie die ersten Einsätze ausgingen, außer dass sie zufrieden, atemlos, ohne Verletzte oder Märtyrer zurückkehrten. Cheikh Nouredine war der Auffassung, aus Sicherheitsgründen sei es wichtig, dass er sich nicht selbst an diesem heiligen Krieg beteiligte, aber er sah mich scharf an, als ich sagte, ich zöge es vor, ihm im »Haus der Verbreitung« Gesellschaft zu leisten. Nach zwei Nächten des Kampfs ohne Verluste war es sein Wunsch, die Truppen selbst zum Sieg zu führen; ich richtete mich darauf ein, in Ruhe und endlich allein vor dem Computer zu bleiben, aber ein Blick von Cheikh Nouredine genügte, um mich davon zu überzeugen, dass es besser war, mich ihnen anzuschließen; ich erhielt einen Knüppel, den ich wie alle anderen unter meinem Kaftan versteckte.
    Die Expedition hätte vergnüglich sein können; wie unsere Bande mit Mützen auf dem Kopf, Bärten und langen Mänteln die düsteren Gehwege entlanggeisterte, das hätte gut in eine ägyptische Komödie gepasst.
    Niemand hatte mich über den Zweck der Aktion informiert; im Gebet waren der Kampf gegen die Gottlosigkeit, die Sünde und die Pornographie erwähnt worden, aber nichts Genaueres. Die Nacht war kalt und nass. Wir waren zu sechst, wir marschierten in Reih und Glied, es begann ein wenig zu regnen, was der Expedition ihren Reiz nahm. Der Kampf gegen Trunksucht und Materialismus war keine Vergnügungsreise.
    Als ich sah, dass wir zweihundert Meter vom Haus des koranischen Gedankenguts entfernt nach links abbogen, wurde ich ein wenig unruhig; am Ende der Straße gab es ein mögliches Ziel, von dem ich hoffte, es werde nicht unseres sein. Aber leider. Es konnte nur dort liegen. Alle schienen zu wissen, wo es hinging, nur ich nicht; mit Bassam an der Spitze schritt die Truppe, ohne zu zögern, voran. Wir kamen vor das Geschäft des Buchhändlers; wegen des Regens hatte er die Auslagen hereingeholt, aber ungeachtet der
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