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Stoppt die Hochzeit!

Stoppt die Hochzeit!

Titel: Stoppt die Hochzeit!
Autoren: Stephanie Bond
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Schatten unter seinen dunklen Augen und an seinem Kiefer deuteten auf Jetlag hin. Er starrte nach links aus dem Plexiglasfenster, aber sie nahm an, dass er nichts von der vorbeirauschenden Landschaft wahrnahm. Der unrasierte Mann war nicht auf dem Weg zu einer Besprechung. Vielleicht zu einer Beerdigung? Ihre Fantasie begann Blüten zu treiben. Ja, er war auf dem Weg zu einer Beerdigung. Von jemandem, dem er nicht nahestand, obwohl er es sich wünschte.
    Er drehte den Kopf und bemerkte, dass sie ihn anstarrte. Unter seinem eindringlichen Blick wurde sie sich prickelnd ihrer Weiblichkeit bewusst. Sie schluckte, schaffte es aber nicht, wegzuschauen. Der Teufel selbst hätte nicht faszinierender sein können. Seine große Nase, das markante Kinn und die dichten Augenbrauen fügten sich zu einem Gesicht, das einen Fotografen vermutlich weitergehen, einen Künstler aber innehalten lassen würde. Er war einen Kopf größer als die meisten Männer, und seine breiten Schultern ragten bis in den freien Nachbarsitz. Er kam ihr vertraut vor, obwohl sie sich sicher war, dass sie ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Sie hätte ihn gefragt, aber der Mann trug seinen finsteren Gesichtsausdruck wie ein Warnschild: Ansprechen auf eigene Gefahr.
    Sein Blick glitt über sie, ohne an ihrem Gesicht oder ihrer Kleidung hängen zu bleiben, bis er auf ihre Füße fiel. Sie widerstand dem Bedürfnis, die Zehen einzurollen und zu verstecken. Vor zwei Tagen hatte sie versucht, eine Beziehung zu einer vierzehnjährigen Zeugin aufzubauen, die sich in der Toilette eingeschlossen hatte, und hatte spontan eine Pediküre für sie beide vorgeschlagen, als sie den blauen Nagellack gesehen hatte, der aus dem Rucksack des Mädchens gerollt war. Ihre Taktik war aufgegangen, und da ihre üblichen konservativen Pumps das Ergebnis verbargen, hatte sie sich bisher noch nicht die Mühe gemacht, das Zeug zu entfernen.
    Die Mundwinkel des Mannes zuckten nach unten, ehe er wieder geistesabwesend aus dem Fenster schaute. Schamesröte schoss ihr ins Gesicht. Sie war in Detroit schon von wirklich einschüchternden Richtern und Anwälten niedergestarrt worden, aber noch nie war sie mit einem so kurzen Blick so komplett abgetan worden. Was auch immer der Mann beruflich machte, er war entweder ein elender Versager oder phänomenal erfolgreich.
    Oder viel eher: elendig erfolgreich.
    Während der nächsten paar Stationen zwang sie sich, ihre Aufmerksamkeit etwas anderem zuzuwenden, war sich seiner Anwesenheit keine zwei Meter entfernt allerdings stets bewusst, sowohl, weil sie ihn aus dem Augenwinkel wahrnehmen konnte, als auch durch etwas, was sich am ehesten als aufeinandertreffende Energiefelder beschreiben ließ. Die Ausstrahlung des Mannes erschlug alles, was ihm in die Quere kam, verlangte Beachtung, selbst wenn er sich auf etwas völlig anderes konzentrierte. Entnervt und erhitzt starrte sie ein mit Graffiti beschmiertes Filmplakat an.
    Als der Zug im Bankenviertel hielt, stand der Mann auf, nahm eine Reisetasche aus schwarzem Leder in die eine Hand und griff mit der anderen nach einer großen Aktentasche. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass er alle anderen zuerst aussteigen ließ, ehe er den Zug verließ, aber sie erkannte seine kühle Höflichkeit als Teil eines Machtspiels. Sie hatte oft genug das Verhalten anderer Menschen studiert, um zu wissen, dass die einflussreichsten und autoritärsten unter ihnen Räume und Fahrstühle stets als Letzte verließen – was ihrer Meinung nach ein Versuch war, ihre Macht zu wahren, indem sie sich den Rücken freihielten. Er ging sicheren Schrittes und mit hoch erhobenem Kopf und nahm zwei Stufen auf einmal, als er im Treppenhaus verschwand.
    Nachdem sich die Türen wieder geschlossen hatten, schien die Atmosphäre im Zug unter seiner Abwesenheit in sich zusammenzufallen, aber sie seufzte erleichtert auf. Einem Mann wie diesem würde sie nur ungern vor Gericht begegnen. Oder im Schlafzimmer, flüsterte ihr unnötig hyperaktiver Verstand.
    Als sie die schwankende Fahrt in den Norden fortsetzten, verdrängte sie das Bild des Fremden aus ihrem Kopf und bemerkte sowohl subtile als auch drastische Veränderungen in der Gegend. Sich entwickelnde Stadtbezirke waren nur allzu leicht an den aufgeschütteten Hügeln orangeroten Sands zu erkennen, wo die Erde in Vorbereitung auf neue Häuser, Straßen und Einkaufszentren aufgegraben worden war. Die Innenstadt von Atlanta genau wie die sie umgebende Großstadtregion waren eine
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