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Stoerfall in Reaktor 1

Stoerfall in Reaktor 1

Titel: Stoerfall in Reaktor 1
Autoren: Wolfram Hänel
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Energiekonzern zu gehören. Oder es sind irgendwelche Politiker. Der Tisch vor ihm ist offensichtlich für die leitenden Angestellten des Werks reserviert, die Presseleute sitzen auf der gegenüberliegenden Seite. Gunnar zieht fragend die Augenbrauen hoch, als er Lukas erkennt. Das Fernsehteam ist links vom Rednerpult, der Kameramann macht gerade einen Schwenk durch den Raum. Lukas zuckt zusammen, als er der Kamerabewegung folgt und Koschinski und Müller entdeckt, die sich neben dem Buffet aufgebaut haben und vorab schon mal jede Menge Essen auf ihre Teller stapeln. Hannah hat die beiden auch gesehen, und obwohl sie sie nicht kennt, muss sie begriffen haben, wer sie sind. Sie wirft Lukas einen kurzen Blick zu, den er nicht deuten kann, und geht mit ihrem Tablett wie zufällig zwischen den Tischen hindurch auf das Buffet zu.
    Der Direktor des AKWs ist bei seinen letzten Sätzen angelangt und kündigt den nächsten Redner an: »Unser leitender Ingenieur, Herr Dr. Wellner, wird Ihnen jetzt eine kurze Zusammenfassung darüber geben, was wir hier im Werk unternehmen, um jedes Sicherheitsrisiko auszuschließen. Dr. Wellner, darf ich Sie nach vorne bitten?«
    Von den Tischen kommt vereinzelter Applaus, eine Frau mit hochgesteckten Haaren und einem weit ausgeschnittenen Kleid legt ihre Hand auf Lukas’ Arm und bittet um ein neues Glas Sekt. Als Lukas ihr das Tablett hinhält, sieht er aus dem Augenwinkel seinen Vater am Tischende sitzen. Lukas’ Hand fängt an zu zittern, er lässt fast das Tablett fallen, aber sein Vater blickt nur starr zum Rednerpult, er beißt die Zähne so fest zusammen, dass sich seine Kieferknochen deutlich abzeichnen.
    Als Hannahs Vater aufsteht, um nach vorne zu gehen, nimmt er wieder die bunte Einkaufstüte mit und stellt sie neben dem Rednerpult ab. Einer der Zeitungsleute macht halblaut einen Witz, zwei oder drei Kameras klicken, der Direktor versucht irritiert, die Situation zu überspielen: »Ihre Einkäufe nimmt Ihnen keiner weg, Dr. Wellner, ich glaube, da können Sie ganz unbesorgt sein. Wenn wir gleich zum Buffet rufen, dann wird keiner hungrig nach Hause gehen müssen. Oder haben Sie da ein paar Überraschungen für uns alle mitgebracht?«
    Hannahs Vater ignoriert ihn und wartet, bis die Lacher im Raum verstummen, dann räuspert er sich und beugt sich zum Mikrofon: »Guten Tag, ich darf Sie begrüßen«, setzt er an, »Sie wissen, wer ich bin, Dr. Schröder hat mich ja bereits vorgestellt. Sie wissen auch, dass es jetzt um das Thema Sicherheit geht …« Unvermittelt bricht er wieder ab, als hätte er den Faden verloren.
    Â»Dr. Wellner, gibt es ein Problem?«, fragt Dr. Schröder, der immer noch neben dem Pult steht.
    Die gespannte Stille im Raum ist plötzlich mit Händen greifbar, niemand flüstert mehr mit seinem Nachbarn, alle verharren nahezu bewegungslos, als wäre klar, dass gleich irgendetwas passieren muss. Nur die Kameras der Zeitungsfotografen klicken.
    Â»Dr. Wellner?«
    Hannahs Vater räuspert sich. »Also, das Stichwort heißt Sicherheit. Eigentlich müsste jeder von Ihnen längst wissen, dass …« Er unterbricht sich erneut und fixiert jetzt den Tisch, an dem der Bürgermeister und der Tourismusmanager sitzen, bevor er weiterredet. »… dass es keine Sicherheit gibt. Aber bei einigen von Ihnen weiß ich leider nur zu genau, dass Sie das nicht hören wollen, weil Ihre Interessen anders aussehen …«
    Â»Dr. Wellner, bitte, was soll das werden?«, versucht der Direktor, ihn zu stoppen.
    Hannahs Vater hebt die Hand und Dr. Schröder verstummt, wenn auch widerwillig.
    Â»Ich mache es kurz«, fährt Hannahs Vater fort. »Ich bin nicht mehr bereit, für die Gewinnmaximierung dieses Konzerns gefälschte Sicherheitsstudien zu veröffentlichen. Ich bin vor allem nicht mehr bereit, die Gesundheit von Menschen aufs Spiel zu setzen. Ich habe mir diesen Schritt lange überlegt, und ich bin mir über die Konsequenzen, die das für mich haben wird, durchaus bewusst – und, ja, ich habe tatsächlich ein paar Überraschungen für Sie mitgebracht.« Er bückt sich zu der Einkaufstasche und zieht einen Stapel gehefteter Mappen hervor. Den bunten Reiseprospekt, der obenauf liegt, drückt er dem verblüfften Direktor in die Hand, dann eilt er mit schnellen Schritten auf die Gruppe der Presseleute zu. »Ich habe hier die
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