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Stoerfall in Reaktor 1

Stoerfall in Reaktor 1

Titel: Stoerfall in Reaktor 1
Autoren: Wolfram Hänel
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wohl immer noch besser, als einfach hierzubleiben und den Kopf in den Sand zu stecken. Und bei seiner Mutter ist es eigentlich noch bescheuerter! Sie hat nur noch Angst, und sie sieht jeden Tag, wie Karlotta immer kränker wird, sogar ihre Ehe ist deshalb schon so gut wie in die Brüche gegangen – aber macht sie irgendetwas, um ihre Situation zu verändern? Nein, tut sie nicht. Und die einzige Erklärung, die sie dafür hat, ist: Sie habe ihren Job hier als Lehrerin und so schnell finde sie keine neue Schule. Und jetzt mit Karlottas Krankheit schon gar nicht. Da sei sie darauf angewiesen, dass das Kollegium Verständnis hat, wenn sie mal einen Tag fehlt, weil sie sich um ihr krankes Kind kümmern muss …
    Fuck!, denkt Lukas. Wir drehen uns alle im Kreis. Wie ein Goldfisch im Glas, der jeden Tag wieder seine Runden dreht und denkt: Huch! Wie sieht denn das hier aus? Hier war ich ja noch nie! Aber das gefällt mir gar nicht, da schwimm ich doch lieber schnell weiter. Nur dass es leider nichts hilft, weiterzuschwimmen, wenn man in Wirklichkeit immer wieder am selben Punkt ankommt.
    Lukas hat es aufgegeben, mit seinen Eltern darüber reden zu wollen. Es kommt nichts weiter dabei heraus, als die immer gleichen Sätze, die er inzwischen schon auswendig kennt: Es gibt keine Alternative. Wir dürfen uns nicht verrückt machen lassen. Wir müssen hoffen, dass alles gut geht. Das Ende ist doch ohnehin absehbar, die paar Jahre werden wir jetzt auch noch überstehen.
    Aber Fukushima ist überall, denkt Lukas, was braucht ihr denn noch, um endlich zu begreifen, dass jetzt Schluss sein muss, und nicht erst in zehn Jahren. Wenn überhaupt …
    Er schreckt hoch, als er eine Hand auf seiner Schulter spürt. Seine Mutter steht neben dem Bett und sagt irgendwas.
    Lukas zieht sich den Kopfhörer von den Ohren. »Was?«
    Â»Da sind zwei Herren für dich, unten, in der Küche. Sie wollen dir ein paar Fragen stellen. Gibt es irgendwas, wovon ich nichts weiß?«
    Lukas braucht einen Moment, bis er wieder ganz da ist. »Was?«, fragt er noch mal. »Was für Herren? Wieso bei uns in der Küche?«
    Â»Vom Werk, glaube ich. Sie haben nichts weiter gesagt, nur dass sie dich sprechen wollen.« Seine Mutter beugt sich zu ihm, ganz nah, ihre Stimme zittert ein bisschen. »Geht es etwa um gestern Nacht? Hast du was damit zu tun?«
    Â»Keine Ahnung, was du meinst«, sagt Lukas. Er schwingt die Beine aus dem Bett und steht auf. Aber dann dreht er sich doch noch mal um und nimmt seine Mutter in den Arm. Zum ersten Mal seit einer kleinen Ewigkeit. »Komm, Mama, ganz ruhig. Es ist alles okay, mach dir keine Sorgen. Es wird schon nichts weiter sein. Wahrscheinlich geht es um irgendwas ganz anderes, was weiß ich. Ich wimmele sie schon wieder ab, kein Grund zur Aufregung.«
    Gar nichts ist okay, denkt er, während er die Treppe hinunterstolpert. Wieso sind sie so schnell auf ihn gekommen? Waren sie etwa auch schon bei Jannik? Hat sie doch irgendwer erkannt? Sie hätten das nicht machen sollen, die ganze Aktion war total hirnrissig. Und gebracht hat sie ohnehin nichts. Außer dass er jetzt irgendwelche Typen an den Hacken hat, die ihm dumme Fragen stellen wollen. Bleib cool, Alter! Ganz ruhig. Solange du dich nicht verplapperst, können sie dir gar nichts …

Drei
    Die beiden Typen sind jedenfalls nicht vom AKW , da ist sich Lukas fast sicher. Aber ihre Antwort auf seine Frage, mit wem er es zu tun habe, glaubt er auch nicht: Umweltministerium, Abteilung für Strahlenschutz. Und auf seine Bitte, dass er gerne mal irgendeinen Ausweis sehen würde, bekommt er nur zwei in Plastik eingeschweißte Kärtchen hingehalten, die sich allerdings jeder im nächsten Copyshop selber basteln könnte. Foto, Landeswappen, unleserliche Unterschrift. Bevor er überhaupt noch die Namen richtig entziffern kann, sind die Karten bereits wieder in den Jackentaschen verschwunden. Und dann die mit aufgesetzter Kumpelhaftigkeit vorgetragene Gegenfrage: »Warum gleich so offiziell? Wollen Sie uns nicht vielleicht erst mal einen Kaffee anbieten und wir unterhalten uns ein bisschen? Wir haben nur ein paar Fragen an Sie, alles ganz harmlos, kein Grund, nervös zu werden. Es sei denn, Sie möchten uns etwas erzählen, was wir noch nicht wissen …«
    Â»Keine Ahnung, was Sie meinen«, sagt Lukas und schiebt die Hände in die Hosentaschen, um zu
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