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Stoerfall in Reaktor 1

Stoerfall in Reaktor 1

Titel: Stoerfall in Reaktor 1
Autoren: Wolfram Hänel
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passiert so was nicht. Immer die gleiche Leier. Und in der Schule haben sie sogar eine eigene Unterrichtseinheit zum Thema. Jedes Jahr aufs Neue, pro und contra, mit einem Referenten vom AKW . Womit das Ergebnis des Ganzen von vornherein feststeht: Wendburg ist sicher.
    Todsicher, denkt Lukas. Obwohl er zugeben muss, dass er auch ein paar Mal ins Schleudern gekommen ist. Vor allem als es darum ging, dass AKW s im Gegensatz zu jeder anderen Form von Energiegewinnung kein Kohlendioxid produzieren. Also echt sauber sind. Angeblich. Ein einziger Blick ins Internet reicht nämlich schon, um ganz andere Zahlen zu finden! Von wegen kein CO 2 ! Alleine beim Uranabbau für die Brennstäbe wird jede Menge Dreck in die Atmosphäre geballert! Von der Vegetation, die einfach wegrasiert wird, mal ganz zu schweigen. Genauso wie von den Wassermengen, die für die Kühlung des Reaktors gebraucht werden, von dem Wasser, dass dann die Flüsse mit radioaktiven Stoffen belastet, und von dem radioaktiven Müll, von dem keiner weiß, wohin damit.
    Â» TODSICHER « stand auch auf dem Banner, das die Leute von Greenpeace kurz nach der Katastrophe in Japan an einem der Kühltürme befestigt haben. So ganz nebenbei hätte es da auch jeden stutzig machen müssen, dass die Greenpeace-Aktivisten offensichtlich ohne größere Probleme auf das Gelände marschieren, am Kühlturm hochklettern und sich mit dem Banner wieder abseilen konnten. So viel zum Thema »Sicherheit vor Terroranschlägen«! Aber vielleicht hat es die Leute hier ja auch tatsächlich stutzig gemacht. Nur dass das Ergebnis dann ganz anders war, als man erwarten sollte. Nach der Räumung haben nämlich brave Wendburger Bürger noch am selben Abend einen der Aktivisten fast krankenhausreif geprügelt. Gut, schön blöd von dem Typen, sich ausgerechnet in der Kneipe blicken zu lassen, um mit Leuten zu reden, die ganz bestimmt nichts davon hören wollen, dass sie auf einem Pulverfass sitzen. Weil sie es im Stillen ganz genau wissen und nur nicht wahrhaben wollen. Weil es so einfacher für sie ist.
    Aber was Lukas nicht kapiert, dieser offensichtliche Hass, der die Leute sogar gewalttätig werden lässt.
    Natürlich hat sich die Situation jetzt verändert, seitdem klar ist, dass alle AKW s abgeschaltet werden. Wobei es genauso gut sein kann, dass der Beschluss auch wieder aufgehoben wird. Wäre nicht das erste Mal, dass so was passiert. Und in jedem Fall bleibt Wendburg bis zum bitteren Ende am Netz. Noch mindestens zehn Jahre! In denen es um nichts anderes mehr geht, als den größtmöglichen Gewinn abzugreifen, solange es die Chance dazu gibt. Sicherheit rechnet sich da eher weniger, Hauptsache, sie verdienen noch mal ordentlich. Jeder weiß, dass die Sache genauso läuft und nicht anders. Aber trotzdem tun alle so, als gäbe es jetzt keinen Grund mehr, sich noch weiter aufzuregen oder irgendwas zu unternehmen. Als sei jetzt alles in Ordnung, wenn nicht »irgendwelche grünen Spinner« immer noch für Panik sorgen würden.
    Schon klar, dass nicht alle in Wendburg so denken, und die meisten würden nicht im Traum darauf kommen, irgendjemanden zu verprügeln, der eine andere Meinung vertritt. Aber sie selbst vertreten eben gar keine Meinung!
    Lukas’ Vater ist das beste Beispiel dafür. Für die schweigende Mehrheit, für die ewigen Jasager. Das Schlachtvieh. Dabei ist er nur Buchhalter im AKW , einer aus der Verwaltung, der null Interesse an Technik hat. Physik. Kernkraft eben. Er macht einen Job, den er genauso gut irgendwo anders machen könnte. Und wenn das AKW wirklich stillgelegt wird, muss er das ja sowieso. Also warum dann nicht jetzt gleich? Noch ist er nicht zu alt, um was anderes zu finden! Aber die Uhr tickt. Wahrscheinlich ist es genau das, was Lukas nicht versteht. Warum sein Vater nicht wenigstens jetzt noch weggeht, warum sie nicht schon längst irgendwo anders hingezogen sind. Weg aus Wendburg, weg vom AKW .
    Bei Janniks Vater ist das vielleicht anders, er will auf dem Hof bleiben, der schon seinem Vater gehörte und davor dessen Vater. Das ist zwar bescheuert, aber irgendwie noch nachvollziehbar. Aber für jemanden, der zufällig in Wendburg gelandet ist, weil er sich in einer größeren Stadt kein eigenes Häuschen leisten konnte, macht das Ganze keinen Sinn. Selbst wenn sie dann irgendwo anders wieder zur Miete wohnen müssten, wäre das ja
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