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Stille(r)s Schicksal

Stille(r)s Schicksal

Titel: Stille(r)s Schicksal
Autoren: Monika Kunze
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denen Blumen rankten, die sie noch nie zuvor gesehen hatte: kleine, dickfleischige, dunkelgrüne Blätter an ebenso dicken Ranken, ab und zu eine Blüte, die dem heimischen Gänseblümchen nicht unähnlich war, nur eben von einem kaum zu übertreffenden, leuchtenden Rot.
    Und weiter vorn, gleich hinter der felsigen Mauer, brandete der Atlantische Ozean. Links hinter den Palmen und dem Swimmingpool hatten wohl die Surfer ihr Domizil. Einige ließen sich von den Wellen tragen, andere saßen an den weißen Tischen oder im schwarzen Sand, tranken etwas oder unterhielten sich einfach. Es war ihnen schon von weitem anzusehen, dass sie ihren Urlaub genossen.
    Genau das hatte Anne jetzt auch vor.
    "Erst mal unter die Dusche, dann in den Badeanzug - hinunter zum Strand und ab ins kühle Nass", dachte sie wieder einmal laut, denn es hörte sie ja niemand.
    Sie wollte an nichts mehr denken, sich in die tosenden Wellen stürzen und ein Stück hinaus schwimmen.
    Doch als die junge Frau ihre Tasche öffnete, erschrak sie. Das waren doch nicht ihre Sachen! Hosen, Rasierwasser, T-Shirts, oh Gott, offensichtlich die Tasche eines Mannes. Da war ja auch ein Schild. Sven Stiller las Anne und zu ihrer Überraschung war dieser junge Mann auch noch aus Klarwasser. Er wohnte gar nicht weit von ihr, in der Kastanienallee. Siedend heiß wurde ihr, als sie daran dachte, dass das wohl der Typ sein musste. War das etwa der Typ im Trabbi mit dem gleichen Kennzeichen? Erst hatten sie ihn überholt, dann war ein Weilchen hinter ihnen gefahren, aber bald war er nicht mehr zu sehen gewesen. Wie hätte das kleine Kultauto auch mit Dieters Opel mithalten sollen?
    Sven also, Sven Stiller. Aber so still kam er ihr nicht vor, denn wenn sie sich richtig besann, war er es doch auch, der ihr im Flugzeug gewünscht hatte, dass sie gut schlafen und schön träumen möge. Und im Bus hatte er etwas von einer Ankunft auf der Müllhalde geredet. Und dann war er plötzlich verschwunden gewesen, als sie ihm ihre Freude über den herrlichen Hibiskus hatte mitteilen wollen.
    Aber wie er eigentlich richtig aussah, hätte sie nicht mehr zu sagen gewusst. Anne hatte an diesem Tag einfach zu viele Leute gesehen und dabei eigentlich niemanden so richtig angeschaut. Sie legte die Sachen, die ihr nicht gehörten, wieder in die Tasche zurück, wusch sich schnell Gesicht und Hände. So, jetzt würde sie diesen Sven Stiller suchen gehen.
    Als sie die Treppe hinunter kam, sah sie einen jungen Mann an der Rezeption stehen. Er hatte sich lässig an den Tresen gelehnt und schien angeregt mit der Empfangsdame zu plaudern. Die dunkelhaarige Frau lachte mehrmals, bevor sie sagte: "Keine Sorge, wir suchen und finden."
    Sie sprach mit spanischem Akzent. Die Chefin aus Hamburg war nirgends mehr zu entdecken.
    Der junge Mann trug Jeans und T-Shirt, Anne fielen sein knackiger Hintern und kräftige Schultern auf, seine dunklen Haare fand sie etwas zu lang. Als sie gerade dabei war, seine Größe auf mindestens einen Meter achtzig zu schätzen, drehte er sich um. Nur für ein paar Sekunden begegneten sich ihre Blicke. Lange genug jedoch, um die Wende, die ihr Leben ab sofort nehmen würde, zumindest zu ahnen. Er schaute sie aus seinen dunklen Augen an, als sei ihm gerade das achte Weltwunder begegnet. Doch dann schien er sich zu fassen und fragte:
    "Entschuldigung, sind Sie nicht die Kleine aus Klarwasser? Ich bin Ihnen auf der Autobahn ganz unauffällig gefolgt, aber Sie haben mich abgehängt … erinnern Sie sich?"
    Für Anne stand für einen Moment die Zeit still, sie lauschte seiner Stimme, ohne den Sinn seiner Worte zu erfassen. Nur Bruchstücke drangen bis zu ihr vor, sie schüttelte sich und hörte gerade noch, wie er sagte: "Das ganze Dilemma kam nur, weil ich mich so geärgert habe über Sie. Erst kommen Sie mit einem Mann zum Flugplatz, der überhaupt nicht zu Ihnen passt und dann würdigen Sie mich einfach keines Blickes, obwohl ich Sie doch schon zweimal angesprochen hatte."
    Anne hatte sich wieder in der Gewalt und bei seinen letzten Worten, gelang ihr sogar ein leicht spöttisches Lächeln. Irgendwann würde er wohl aufhören zu reden, doch sie war sich nicht sicher, ob sie das wirklich wollte. Sie schaute sich also angelegentlich im Foyer um, während er von den vertauschten Taschen zu erzählen begann. Plötzlich verstummte er so abrupt, als hätte ihn jemand ausgeschaltet wie ein Radio. Sein Vorrat an Worten war erschöpft. Nun schaute er sie erwartungsvoll an, als sei sie
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