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Stiller

Stiller

Titel: Stiller
Autoren: Max Frisch
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Ich krepiere dran, aber ihr ist’s genug!« – »Woher weißt du, Stiller, daß es ihr genug ist?« – »Warum schreit sie nicht?« fragt er. »Ich bin hochmütig, und sie nicht? Sie hat gewartet. Hörst du? Auf meine Einsicht gewartet. Wie viele Jahre lang? Zwei Jahre lang, vierzehn Jahre lang. Ist ja egal. Drum ist sie erschöpft, verstehst du. Ich habe sie kaputt gemacht. Und sie mich nicht!« – »Wer sagt das?« – »Sie«, antwortete er mit einem höhnischen Lächeln, legte seinen Kopf auf die hölzerne Lehne zurück: »Ich habe sie gedemütigt, und sie mich nicht?« – » Stiller«, meinte ich, »du solltest dir jetzt nicht selber leid tun. Was hast du erwartet? Nach allem Gewesenen. Daß sie auf die Knie fällt? Und zwar vor dir?« Er schwieg, den Kopf auf der Lehne, Blick zur Zimmerdecke. »Ich glaube dir, Stiller, daß du manchmal zu allem bereit bist, zu vielem.Dann stehst du wieder auf – in Selbstmitleid, in Haß, in Hoffnungslosigkeit. Weil du Gnade erwartest von ihr: von einem Menschen. Ist es nicht so?« fragte ich. »Dein gelegentliches Knien ist fehl am Ort.« – »Ich hasse sie«, sagte er vor sich hin, »manchmal hasse ich sie.« Und dann: »Was hilft’s mir, was sie vor anderen redet? Ich bin’s, der auf sie wartet. Ich! Und nicht ein weiser Freund oder eine ehrwürdige Tante, sondern ich, Rolf, ich bin’s, der ein Zeichen braucht!« Er war froh um seinen Grimm, schien mir. »Warum habt ihr euch nicht getrennt?« fragte ich. »Du weißt, das machen die meisten, wenn’s nicht geht. Warum bist du seinerzeit zurückgekehrt? Ich denke, weil du sie liebst. Und weil wir ja nicht einfach, wenn’s schiefgeht, auf ein anderes Leben hinüberwechseln können. Das vor allem. Es ist ja doch unser Leben, was da schiefgegangen ist. Unser allereigenstes und einmaliges Leben. Und dann –« Stiller hatte mich unterbrechen wollen; doch als ich schwieg, schwieg auch er. »Ich weiß nicht«, sagte ich, »was du unter Schuld verstehst. Jedenfalls bist du soweit, sie nicht mehr bei andern zu suchen. Aber vielleicht, ich weiß nicht, meinst du, sie hätte sich vermeiden lassen. Schuld als eine Summe von eigenen Fehlern, die man hätte vermeiden können, meinst du es so? Ich glaube allerdings, die Schuld ist etwas anderes. Die Schuld sind wir selbst –« Stiller unterbrach: »Warum ich zurückgekommen bin?! Das hast du nicht erlebt. Eine Idiotie, nichts anderes, eine Starrköpfigkeit! Begreifst du’s denn nicht? Wenn du ein halbes Leben lang vor einer Tür gestanden und geklopft hast, Herrgott nochmal, erfolglos wie ich vor dieser Frau, vollkommen erfolglos, Herrgott nochmal – und dann geh du weiter! Vergiß sie, so eine Tür, die dich zehn Jahre versäumt hat! Gib’s auf, geh weiter! ... Was heißt da schon Liebe? Ich habe sie nicht vergessen können. Das ist alles. Wie man eine Niederlage nicht vergessen kann. Warum ich zurückgegangen bin? Aus Besoffenheit, mein Lieber, aus Trotz. Du mit deinen noblen Meinungen! Geh in ein Kasino, schau sie dir an, wie sie weiterspielen, wenn sie verlieren, immer weitersetzen. Genau so! Weil’s einen Punkt gibt, wo sich das Aufgeben nicht mehr lohnt. Aus Trotz, ja, aus Eifersucht! Du kannst eine Frau verlieren, wenn du sie gewonnen hast. Soll einer kommen! Aber wenn du selber sie nie gewonnen hast, nie gefunden, nie erfüllt? Vergiß sie, so eine Türe, und laß andere eintreten, geh weiter! Recht hast du: Warum haben wir uns nicht getrennt? Weil ich feige bin.« Stiller versuchte zu lachen. »Du sagst mit andern Worten genau dasselbe«, fand ich, »nur finde ich es nicht feige.« – »Ein Opfer, meinst du? Ein gegenseitiges Opfer,wobei beide draufgehen!« – »Natürlich gibt es Fälle, da man sich trennen kann«, sagte ich, »da man sich trennen sollte, und wenn’s nicht geschieht, ist es Feigheit, Schlappheit. Wie vielen wünsche ich die Trennung, je rascher, um so besser, es gibt Episoden, uneheliche und eheliche, sicherlich, man kann Schluß machen, wenn etwas erledigt ist. Nicht jedes Paar wird sich zum Kreuz! Aber wenn es einmal so ist, wenn wir es dazu gemacht haben, wenn es eben nicht eine Episode ist, sondern die Geschichte meines Lebens –« Stiller sträubte sich: »Kreuz!« – »Nenne es, wie du willst.« – »Warum sagst du’s nicht rundheraus«, fragte er, »auch in deinen Briefen nicht?« – »Was?« – »Was du meinst: Sein Wille geschehe! Gott hat es gegeben, und selig sind, die es nehmen, und tot sind, die da nicht hören können wie
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