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Stiefkinder der Sonne

Stiefkinder der Sonne

Titel: Stiefkinder der Sonne
Autoren: Edmund Cooper
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unbedeutende Politiker, Uhrmacher und Beamte im allgemeinen waren. Unverheiratete Frauen, oder – genauer – Jungfrauen über fünfundzwanzig, waren sehr gefährdet; das gleiche galt für Junggesellen.
    Am wenigsten betroffen von SWS waren Künstler aller Art, Verrückte, politische oder religiöse Fanatiker, Schauspieler, Tänzer und Conferenciers, Spinner, Homosexuelle, Prostituierte, Exzentriker, Ärzte und Krankenschwestern, Lehrer, Sportler, Sadisten, Masochisten und Menschen mit einer pathologischen Zuneigung zu Tieren.
    Ganz deutlich hieß die Parole nun: „Schicken Sie Ihre Tochter zum Showbusineß, Mrs. Worthington“. Strategien dieser Art nützten allerdings nichts, wenn die betroffene Person zufällig eine unterdrückte Neigung zur Mathematik hatte.
    Das Jahr 1987 kam. Und ging nach einem herrlichen Sommer. Die Endabrechnung ergab in Großbritannien knapp eine Million SWS-Opfer. Dazu wurde nun noch eine sekundäre Wirkung deutlich. Aus offensichtlichen Gründen fiel die Geburtenrate. Die Menschen begannen sich davor zu fürchten, Kinder zu bekommen; sie brachten sich dadurch ironischerweise selbst durch Kummer um. Aus ebenso offensichtlichen Gründen hob sich die natürliche Sterberate. Gegen Ende des Jahres führte das Parlament die Dienstpflicht wieder ein – die es seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hatte. Dieses Mal brauchte man allerdings keine Soldaten, sondern Totengräber, Busfahrer und Sozialarbeiter.
    Im Herbst 1988 wurde Matthew Greville aus dem Gefängnis entlassen. Er hatte seine volle Strafe abgesessen, nachdem er einer vorzeitigen Entlassung wegen guter Führung durch einen vorsätzlichen Angriff auf einen Gefängnisangestellten entgangen war. Man gab ihm eine Fahrkarte nach London und die Summe von achtzehn Pfund, neun Schilling und sechs Pence, die er während seiner Tätigkeit als Totengräber verdient hatte.
    Er hatte keine Wohnung, in die er gehen konnte, da er seinen Rechtsanwalt schon vor langer Zeit beauftragt hatte, die Wohnung in Chelsea mit ihrem gesamten Inventar zu verkaufen. Eine ziemlich hohe Hypothek war noch zu bezahlen gewesen. Trotzdem war der Rechtsanwalt in der Lage gewesen, nach dem Verkauf des gesamten Besitzes (darunter auch das Picasso-Gemälde) elftausend Pfund auf Grevilles Konto zu überwiesen. Greville hatte den gesamten Betrag sofort an verschiedene wohltätige Anstalten verteilt.
    Als er in London ankam, nahm er sich ein Taxi und ließ sich durch die Stadt fahren, genoß ihren Reichtum und die Geschäftigkeit (denn London gelang es trotz der Schönwetterselbstmorde noch, das alte Gesicht tapfer zu bewahren), bemerkte die Veränderungen, die neuen Wolkenkratzer, die noch immer gebaut wurden – und die neuen Kirchen, die überall entstanden. Dann ließ er sich zur Chelsea-Brücke fahren, an der er ausstieg, das Taxi bezahlte und sich auf den Weg über die Brücke machte.
    Die Beulen waren noch immer in dem Geländer. Er mußte genau nach ihnen suchen, aber sie waren noch da. Man hatte sie übermalt, und zwei oder drei stark beschädigte Verstrebungen waren ersetzt worden, aber die versteckten Hieroglyphen verkündeten noch immer das letzte Ergebnis seines Lebens mit Pauline – und vielleicht auch das Ergebnis einer Begegnung mit einer unbekannten Katze.
    Er starrte eine Zeitlang die Botschaft an, die nur er allein entziffern konnte. Der Himmel lag in blauem Dunst, und die Sonne bedeckte ganz England mit dem goldenen und reifenden Licht des Herbstes. Es war ein perfekter Tag. Greville aber war von dem Wetter gänzlich unberührt. Nachdem er die seltsame Fahrt von Kingston in Gedanken noch einmal erlebt hatte (nur drei Jahre war sie her, aber sie lag in einer anderen Zeit), wandte er sich der nächsten Bar zu, um sich dort zu betrinken.
    Er blieb drei Tage lang betrunken. Nach Abschluß dieser Zeit wachte er frühmorgens im Hyde Park auf – von den Nachwirkungen seiner Sauferei und vor nervöser Anspannung zitternd. Er erinnerte sich an kaum etwas von dem, was sich seit seinem Besuch bei der Brücke abgespielt hatte.
    Er riß sich zusammen und erkundigte sich nach dem Weg zur nächsten Aufnahmestelle der Armee. Er mußte eine Stunde warten, bis sie öffnete. Die militärischen Herren, die dort beschäftigt waren, zeigten sich bei der Aussicht, einen Knastbruder und offensichtlichen Penner aufzunehmen, nicht gerade überglücklich. Nach einiger Überlegung gestatteten sie es ihm jedoch großzügig, sich für das Notbeerdigungskorps freiwillig zu melden. Er
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