Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stiefkinder der Sonne

Stiefkinder der Sonne

Titel: Stiefkinder der Sonne
Autoren: Edmund Cooper
Vom Netzwerk:
Omega-Strahlung in Verbindung zu bringen – hauptsächlich aus dem Grund, weil Strahlung nicht zu ihrem Gebiet gehörte. Sie wählten einen esoterischeren Ansatz und begannen mit Ausdrücken wie ‚thyroidische Verdrängung’, gesellschaftlich bedingte emotionelle Gleichgewichtsstörung’, ‚Befreiung der kollektiven Todessehnsucht’, ‚induzierter Hyper-Mystizismus’ und ‚reinigende Zerstörung’ um sich zu werfen. Der Schönwetterselbstmord war offensichtlich klar zu entschlüsseln. In einer Welt, in der die Vorstellung eines Kriegs rapide absurd wurde, war er die neurotische Simulierung von Stammeskriegen durch den modernen Menschen. Mit der Zeit lieferten die Psychologen und Psychiater so viele plausible Erklärungen für den Schönwetterselbstmord, daß der Eindruck entstand, sie hätten ihn fast erfunden.
    Die religiösen Fanatiker jedoch sahen zum großen Teil die Sache einfacher. Es war nur eine schreckliche Warnung, die Gott geschickt hatte. Wir müßten uns bessern, oder …
    Während jedoch Spinner der verschiedensten Richtungen ihre Lieblingsphilosophien hinausposaunten und entsprechend sinnlose Allheilmittel erfanden, waren einige wenige intelligente Leute damit beschäftigt, Tatsachen zusammenzustellen.
    Und die Tatsachen, die sich herausstellten, sahen folgendermaßen aus:
    1. Bis kurz vor der Entdeckung der Omega-Strahlung war die Selbstmordrate ungefähr normal.
    2. Das Vorkommen von Selbstmorden steigerte sich gleichzeitig mit dem Vorkommen der Strahlung.
    3. Bewölkter Himmel senkte die Steigerungsrate merklich, aber nicht signifikant.
    4. Obwohl sich die Selbstmordrate in der ganzen Welt enorm gesteigert hatte, waren die Steigerungsraten auf der nördlichen Halbkugel bisher etwas höher als auf der südlichen Halbkugel.
    5. Die betroffenen Menschentypen waren solche, die man unter normalen Bedingungen als am wenigsten selbstmordgefährdet betrachten würde.
    6. Viele Leute, denen ein Selbstmordversuch nicht gelungen war oder die rechtzeitig von anderen gerettet worden waren, berichteten, daß sie kurz vor dem Impuls, der sie zum Selbstmord trieb, extrem starke Empfindungen von Frieden und einer Identifikation mit einer Sache verspürt hätten, die größer als sie selbst sei. Ein gemeinsamer Punkt ihrer Berichte war die weitverbreitete Überzeugung, daß durch den Tod dieses Gefühl absolut oder permanent werden würde.
    7. Die Intensität der Omega-Strahlung war noch im Anstieg begriffen, und viele Astronomen äußerten die Meinung, daß die neuen Sonnenflecken aller Voraussicht nach noch für längere Zeit ‚aktiv’ bleiben würden.
    Das waren die Tatsachen, und sie waren dafür verantwortlich, daß die Verkaufsziffern von Bibeln, Sedativen, Beruhigungsmitteln und alkoholischen Getränken in noch nie dagewesene Höhen stiegen.
    Ende 1985 hatten sich in Großbritannien vierunddreißigtausend Menschen das Leben genommen – obwohl die statistische Prognose nur sechstausendfünfhundert erwartet hatte. Der Innenminister empfahl, holzköpfig wie immer, man solle Selbstmord wieder als kriminelles Delikt behandeln. Selbstmord sei unsozial, sagte er, und äußerst schädlich für die Wirtschaft des Landes. Also wurde hastig ein Gesetz durch das Parlament gepeitscht. Es erlangte durch die Bezeichnung ‚Selbstmord-Abschreckung’ eine kurze Unsterblichkeit. Es sah nämlich unter anderem vor, daß ein Drittel des Besitzes eines Selbstmörders (nach der Erbschaftssteuer) vom Staat eingezogen werden konnte. Weiterhin verfügte es, daß versuchter Selbstmord mit maximal zehn Jahren Gefängnis bestraft werden konnte. Wie man kaum zu erwähnen braucht, war das Gesetz völlig wirkungslos – trug aber ein wenig mit dazu bei, daß die Regierung sechs Monate später gestürzt wurde.
    Matthew Greville gewöhnte sich an den Alltag im Gefängnis. Es war weit bequemer, als er sich das vorgestellt hatte; dies allein erwies sich bereits als erhebliche Frustration, weil er der Überzeugung war, daß er Freudlosigkeit verdient hatte – nicht allein wegen Pauline, sondern auch wegen der Sinnlosigkeit und Ziellosigkeit seines Lebens. Für all die kleinen Schwindelmanöver, die er durchgeführt, für all die kleinen Eitelkeiten, die er entwickelt, für das Talent, das er verschleudert, und für jene klischeegeladene, pervertierte Ethik, der er sich im Reklamegeschäft untergeordnet hatte, wäre Selbstmord offensichtlich die perfekte Antwort gewesen. Vielleicht hätte das am 7. Juli 1985 auch gestimmt. Erbrachte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher