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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher
Autoren: Astrid Paprotta
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vielleicht weil man ängstlicher als andere Menschen war. Da kam sie auf sie zu und schien einen Moment lang die alte, nein, die junge Katja auf dem Video zu sein, wie sie über eine Wiese lief, gerade, mit erhobenem Kopf.
    Ja. Sicher. Man mußte nur richtig sehen.
    Stumm standen sie einander gegenüber, bis Katja sich eine Zigarette anzündete und die Flamme durch ihre grauen Augen sprang. »Morgen«, sagte sie dann und schwieg ein paar Sekunden, »morgen wird Dorian begraben. Ich möchte nicht, daß Sie dabei sind.«
    »Nein«, sagte Ina.
    »Man geht nicht zum Begräbnis eines Menschen, den man getötet hat.«
    »Nein.«
    Katja drehte die Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger. »Hier werde ich nicht mehr sein, es ist vorbei jetzt. Ich ertrag auch die Leute nicht.«
    »Und Ihr Mann?« fragte Ina.
    »Den hab ich noch nie ertragen.« Sie fror. Sie sah aus, als würde sie zersplittern jeden Moment. »Aber er ist kein schlechter Mensch. Er hat mir den Gefallen getan, mit Dorian nicht allzuviel zu reden, er kannte ihn ja noch von früher. Dorian war verrückt nach seinem Schlagzeug. Dieser kleine Kerl hinter dem riesigen Ding, das war –« Als sie in den Himmel sah, konnte Ina das alte Foto sehen, auf dem sie nachts auf einer Straße stand und die Hände hob, als sei es leicht, die Sterne zu fangen.
    »Warum haben Sie ihn geheiratet?«
    »Weil er das wollte.« Katja warf ihre angerauchte Zigarette auf den Boden. »Er wollte schon vor zwanzig Jahren, da hab ich ihn gefragt, ob er sie noch alle hätte. Aber dann hatte er zwei Zimmer und Arbeit, und ich hatte keine.« Sie schien ein wenig zu lächeln, als sie sagte: »Das ist halt so.« Ein merkwürdiger Glanz lag in ihren Augen, der die Pupillen zusammenzog – nimmst wieder was gegen die Schmerzen, stimmt’s? Pillen, Stoff gegen die Schmerzen da drin.
    Nein, ich weiß nicht, wie das ist, wollte sie ihr sagen, was hab ich schon erlebt? Du hast alles erlebt, kann man das so sagen? Alles Schöne vielleicht, alles Böse. Aber das Schlimmste ist meine Schuld, geh nicht weg.
    »Er sitzt lieber am Tresen«, sagte Katja, »als daß er dahinter steht.«
    Ja, konnte sein. War doch menschlich. Als Kissel am Tresen stand, hatte er sie gefragt, wo Robin war, kurz bevor er starb, und Katja hatte auf ihn gedeutet und gesagt: Da am Tresen hat er gesessen, da, neben Ihnen. Dorian saß am Tisch, sagte sie, am selben Tisch, an dem Stocker die Vernehmung nach den Todesschüssen führte. Robbi hat Dorian angeschrien, sagte sie – Ina sah sie an. Wie ein Leuchten im Nebel konnte man einen Moment lang nur Katjas graue Augen sehen, alles andere, die Straße und die Häuser waren schwarz. Sie flüsterte: »Sie haben gesagt, Robin hat Dorian angeschrien.«
    »Ja.« Katjas Blick war auf sie gerichtet, als müsse sie sie festnageln. »Guck sie dir an, sagt er, das ist unsere Mutter, diese Hure da. Dorian wollte das nicht hören. Er konnte nicht, ich glaube, es hätte ihn zerstört.«
    »Robin saß am Tresen und Dorian am Tisch.«
    »Ja.«
    »Aber wenn man einen anschreit, dann –« Ina sah die Glut von Katjas Zigarette am Boden verlöschen. »Dann guckt man den doch an?«
    »Ja. Sicher.«
    »Robin hat sich also umgedreht zu ihm?«
    »Natürlich.«
    Ina schloß die Augen. »Robin wurde aber von hinten erstochen.«
    »Ja.«
    »Dorian ist durch die Kneipe auf ihn zu, mit dem Messer in der Hand, und da dreht Robin ihm wieder den Rücken zu?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das macht man nicht. Wenn man doch sieht, daß jemand mit dem Messer kommt –«
    »Dorian hatte kein Messer.«
    »– und er rennt doch auch nicht an ihm vorbei, hinter den Tresen –« Sie schwieg. Ja. Katja hatte es gesagt. »Er hatte kein Messer«, wiederholte sie.
    »Er hat nichts getan.« Katja legte die Hände aneinander, als wollte sie beten. »Ich war nicht auf Robbis Beerdigung.«
    »Weil man nicht zur Beerdigung eines Menschen geht, den man –« Ina ging einen Schritt zurück.
    »Ja, weil es eine Beleidigung für den Toten ist.« Katja sah sie ruhig an. »Ich verteidige mich nicht«, sagte sie, was fast ein wenig spöttisch klang.
    Vielleicht spielten sie ein Spiel hier, es konnte doch nicht sein; Ina zog die Schultern hoch. »Doch, Sie müssen. Sie müssen etwas sagen.«
    »Es war nicht Robin.« Katja lehnte sich gegen die Hauswand. »In diesem Moment war er jemand anders. Ich habe es nicht verstanden, ich habe die ganzen Jahre nicht verstanden. Das waren so viele Jahre, da war ich nicht wach. Die Schmerzen
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