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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher
Autoren: Astrid Paprotta
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nicht. Sie erinnerte sich nicht an den zweiten Schuß, schon gar nicht an den dritten.
    »Haben Sie denn überhaupt wahrgenommen, wie er fiel?«
    »Ja, er –« Sie versuchte das dunkle Bild zurückzuholen, doch fielen ihr erneut nur die Geräusche ein, das Gurgeln und das leise Murmeln und Katjas Stimme dann: »Er atmet nicht.«
    »Vielleicht haben Sie von oben auf ihn geschossen, als er schon am Boden lag«, sagte der Glatzkopf, da sprang Pagelsdorf auf und schrie: »Gucken Sie sich doch das Obduktionsergebnis an, das hätte man festgestellt«, doch der Glatzkopf wandte sich ihr zu und fragte: »Haben Sie?«
    »Ich glaube nicht«, sagte sie. »Nein, ich hab die ganze Zeit seine Waffe gesehen. Die Waffe in ihrem Mund.«
    »Absurd«, rief Pagelsdorf, »das sind absurde Fragen.«
    Sie fingen an zu streiten. Pagelsdorf und ein anderer, der bisher geschwiegen hatte, nannten Katja eine Geisel. Der Täter, das war Dorian, der Täter, sagten sie, sollte daran gehindert werden, seinen Vorstoß gegen Leben und Gesundheit der Geisel fortzusetzen, also war der gezielte tödliche Schuß angemessen, die Gefahr abzuwehren. Wir haben aber hier, entgegnete der Glatzkopf, keinen gezielten tödlichen Schuß, weil dieser nach Ansicht aller Rechtsmediziner nur möglich wäre durch einen Treffer in das zentrale Nervensystem des Gehirns, einem Fünfmarkstückgroßen Bereich, der – »Absurd«, schrie Pagelsdorf, »eine absurde Argumentation, jetzt werfen Sie ihr vor, daß sie ihn nicht in den Kopf geschossen hat?«
    Sie hörte nicht mehr zu. Sie dachte, die reden über etwas anderes, nicht darüber, daß sie Dorian Katja weggenommen hatte, so war das doch, so mußte man das sehen. Noch niemals hatte sie Pagelsdorf schreien gehört. Irgendwann war es vorbei, er sagte: »Für heute.«
    Aber vorbei ist es nie, ich werd damit leben, Katja, oder auch nicht. Keine Ahnung, wie das wird, keine Ahnung, ob es geht.
    Tom redete zu Hause, stellte lauter Fragen, doch gab sie wohl die falschen Antworten, was sie daran merkte, daß er sich wieder beschwerte.
    »Hör doch auf«, sagte sie, »laß mich in Ruhe.«
    Als er am späten Nachmittag zur Arbeit mußte, stellte sie sich ans Fenster, bis es dunkel wurde, dann verließ sie das Haus. Sie ging zu Fuß, es war ziemlich weit, doch die Füße machten das von selber. Eine kleine Ewigkeit stand sie vor dem Taubenschlag und sah dann Karl Hufnagel hinterm Tresen stehen. Mit bösen Augen starrte er ihr entgegen; sie ging hin und fragte leise: »Wie geht es ihr?«
    »Sie unterstehen sich was«, zischte er. »Wieso laufen Sie noch frei rum?«
    »Ich weiß nicht«, sagte sie.
    »Kommen her und knallen meiner Frau den Sohn ab« – er keuchte – »sind wir hier in Südamerika?« Er warf ein leeres Glas ins Wasser. »Sie haben hier Lokalverbot«, rief er, und sie nickte und sagte: »Gut«, als sie sie im dunklen Flur vor diesem Verschlag stehen sah. Sie sahen einander an, und Ina wollte ihr sagen: Komm raus, es ist so dunkel da drin, da hast du keine Wärme, und sie machte einen Schritt hin zu ihr, doch Katja drehte sich weg und ging in die Dunkelheit zurück.
     
    So würde es bleiben, lichtlos, auch am Tag.
    Sie ging hin und stand vor dem Haus, das passierte wie von selbst, als würde einer sie führen. Manchmal konnte sie ihren Schatten am Fenster sehen, es war auf der anderen Seite vom Haus. Katja, jetzt haben wir kein einziges Mal miteinander geredet. So ist das immer, man stellt sich was vor. Doch einmal werden wir vielleicht reden, richtig reden, und ich werde dir zuhören und alles erklären. Manchmal verlernt man das Reden ja, die fragen mich dauernd im Präsidium, und ich krieg nichts heraus. Mit Tom ist das auch so, ich weiß nicht mehr, was ich ihm sagen soll, also ist es jetzt sehr ruhig bei uns. Abende ohne Geräusch, kennst du die? Ja, klar. Wenn du nur hörst, wie der andere sich bewegt, wie er eine Tür schlägt oder in der Küche das Wasser laufen läßt, meinst du, es ist niemand da. Aber du, wenn du ganz allein da oben bist, allein mit den Bildern vielleicht, mit dem Tod, dann kannst du doch nicht atmen, also komm raus. Paß auf, ich warte hier, das sagt sich so leicht, aber was soll ich sonst tun?
    Warten, Steinchen wegkicken, nicht auf die wenigen Fußgänger achten, die sie blöd anguckten, weil sie hier bewegungslos im Dunkeln stand. Doch dann geschah etwas, sie hatte ja nicht mehr daran geglaubt und spürte es, noch bevor sie es sah – der alte Bulleninstinkt, man kriegte alles mit,
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