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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher
Autoren: Astrid Paprotta
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sie auch unbedingt Laura heißen wollen, weil drei ihrer Freundinnen so hießen, Laura-Eins, Laura-Zwei und Zahnspangen-Laura, Mädels aus Nobelvierteln, in die sie nicht paßte.
    Ina fror und zitterte dabei, obwohl es hier drin so stickig war, und als sie die Handflächen auf die Tischplatte preßte, verwandelte sich das Holz in Eis. Langsam hob sie den Kopf. Der Mann saß ihr gegenüber, die Frau war weiter weg. Die Frau hatte rote Ränder unter den Augen, als hätte sie sich mit dem Lidstrich vertan und Buntstifte genommen. Sie war müde, nicht wahr? Doch sie sagte kein Wort, sah sie nur an. Gute Polizisten machten das, die konnten warten. Sie hatte es selbst einmal gekonnt, doch wußte sie nicht, ob sie je eine gute Polizistin gewesen war, nein, eher nicht.
    Wie war sie denn auf Zahnspangen-Laura gekommen? Zahnspangen-und-Brillen-und-schrecklich-in-Prince-verknallt-Laura, die hatte doch mit all dem hier gar nichts zu tun.
    Das erste Foto, das Dorian ihr von der Kammer gezeigt hatte, war jenes aus dem Dorf gewesen, das Sternenbild. Da holte sie ihren Jungs die Sterne vom Himmel, so hatte er das Bild immer verstanden, die ausgestreckten Arme und ihr Blick zum Nachthimmel hin. Ja, den Tick mit den Sternen, den hatte er von ihr.
    Wieder hob sie den Kopf. Die ganze Zeit hatte sie auf den Tisch gestarrt, als läge das Foto dort, doch da war nichts außer einem einzelnen leeren Glas. Vielleicht hatte die Kammer damals eine Oase gesucht und eine Wüste gefunden, oder sie war nur auf jemanden hereingefallen, der ihr erzählte, in diesem Dorf mit seiner klaren Luft könne man alles so viel deutlicher fühlen, riechen und sehen, selbst die Sterne am Himmel wie durch ein – wie hieß das Ding?
    »Mikroskop«, sagte der Mann, und sie schüttelte heftig den Kopf und fing an zu kichern, so ein Kichern, bei dem man eigentlich geohrfeigt werden müßte, damit es aufhört; mit dem Mikroskop guckst du nach unten, du Hirni, aber die Sterne – »Teleskop«, sagte die Frau, und das war genauso wie eine Ohrfeige, weil dieses eine Wort so brüchig klang, als hätte sie sich eine Stimme geliehen, mit der sie erst üben mußte.
    Doch jetzt hatte sie etwas gesagt.
    Ina sah ihr ins Gesicht und fing an, lautlos auf sie einzureden, darf ich dich duzen? Nein, das steht mir nicht zu. Aber weißt du, diese Nacht, als wir den Jungen fanden, war tatsächlich sternenlos, ich meine, dunkel. Bißchen unheimlich. Viel zu warm, die Luft bewegte sich nicht, und der graue Himmel lag wie ein Deckel über der Stadt. Und dann kam auch noch der Anruf, daß auf dem Friedhof eine Leiche lag.
    Sie saß mit Kissel in der französischen Kneipe in der Nähe des Polizeipräsidiums, die ja im Grunde ein deutsches Wirtshaus war, nur hieß der Wirt Frank Reich. Nach der fünfstündigen Vernehmung eines Raubmörders hatten sie weiße Pillen geschluckt und wurden trotzdem nicht mehr wach, starrten zur Decke, zerrissen Bierdeckel und spülten eine à la Chef genannte Hamburger-Kreation mit Apfelwein herunter. Kissel kramte einen Bericht aus seiner Jackentasche und erklärte, das käme als nächstes dran, dieser komische Ehestreit, und mit einer Stimme, als stünde er auf der Bühne, las er vor: »Nach dem heftigen Streit zwischen den Eheleuten soll der Mann in sein Zimmer gelaufen sein. Die dadurch sehr erregte Geschädigte wollte deshalb das Haus verlassen.«
    Ina kicherte. »Wurde die denn verletzt?«
    »Nein.«
    »Schön«, sagte sie, »dann ist sie nur sehr erregt, das glaube ich ja gern, aber keine sehr erregte Geschädigte, wer schreibt denn so was?«
    »Klappe.« Kissel hustete. »Als sie ein undefinierbares Geräusch hörte, begab sie sich über die Terrasse zu einem Fenster –«
    »Da hätt ich jetzt einfach geschrieben: ging sie, weißt du?«
    »Begab sie sich zu einem Fenster« – Kissel kniff die Augen zusammen – »das zu dem Arbeitszimmer des Beschuldigten gehört. Beim Blick durch das Fenster habe sie ihren Mann auf einem Stuhl sitzen sehen. In der rechten Hand soll er ein Gewehr gehalten haben.« Er sah hoch. »Weißt du, was ich glaube? Der wird sich gerade einen runtergeholt haben, das hat sie in den falschen Hals gekriegt.«
    Ina sah starr geradeaus und prustete dann los.
    »Plötzlich«, las Kissel, »habe sie einen Schuß gehört und das Splittern von Glas bemerkt. Donnerwetter. Wer geht denn da morgen hin?«
    »Ich bestimmt nicht.« Sie hatte gerade angefangen, ihre Überstunden aufzuzählen, als das Handy piepte, und zuerst glaubte sie ja, die
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