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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher
Autoren: Astrid Paprotta
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mehr, vor ihnen nur der schwache Schein einer Kerze unter Glas. Wie kleine Parzellen wirkten die Gräber in der Dunkelheit, sorgsam vermessen und behütet, an ihrem Ende die Grabsteine wie Mauern. Das Tor quietschte, als die Techniker gingen, und über ihnen begann ein Nachtvogel sein Lied zu singen.

[ 2 ]
    Sie hatte ihn nie so richtig wahrgenommen. Dorian war der Typ, der mit Nicole Mewes Streife fuhr und den sie gelegentlich bei Einsätzen traf. Ziemlich hübsch fand sie ihn und ziemlich still.
    Konnte man so beginnen? Sie sagten kein Wort, der Mann und die Frau, fragten nichts, forderten nichts, sondern schauten sie nur an. Sie bemerkte eine Kerbe im Holz und noch eine daneben, als hätte an diesem Tisch hier einmal ein Häftling gesessen, der begonnen hatte, seine Tage zu zählen. Aber weil die Strichliste so unermeßlich werden würde, hatte er schon aufgegeben nach dem zweiten Tag.
    Sie fürchtete, es nicht erzählen zu können, sich in den Worten zu verheddern wie so oft. Sie konnte nicht so gut reden, das hatte mal jemand zu ihr gesagt, ein Kerl, mit dem sie drei Jahre zusammen war, deine Formulierungsgabe ist bescheiden, na ja. Tom, ihr jetziger Freund, machte das nicht, aber darüber wollte sie doch gar nicht reden.
    Dorian, ja. Vor dieser Nacht war er ihr kaum aufgefallen. Nur an die Gelassenheit konnte sie sich erinnern, mit der er einmal half, einen Erhängten zu bergen, einen jener Geister, die sie schon heimgesucht hatten in ihren Träumen, wie er den starren Körper in eine Plane schlug und ihn fortschaffte von ihr. Es waren die Handgriffe der Totenträger, und wenn sie sich ihren eigenen Tod vorstellte, sah sie vier Hände, die sie hoben, zwei an den Schultern, zwei an den Füßen und weg.
    Weil sie sich an diese Gelassenheit erinnerte, hatte sie sich über seinen Blick gewundert, als sie auf dem Friedhof die Beine des toten Jungen bewegte, von dem sie damals noch nicht wußte, daß es Robin war. »Leichenstarre«, hatte sie zu Kissel gesagt, sicher, ein häßliches Wort. Es gab viele Wörter, die normale Menschen nicht in den Mund nahmen, weil sie vielleicht Angst hatten, sie zu begreifen. Zu Hause hatte sie Tom einmal die Caspar-Regel erklärt, weil das Wort im Fernsehen gefallen war. Das bedeutet, hatte sie gesagt, daß die Leichenfäulnis an der Luft nach einer Woche eintritt, vorausgesetzt, es ist nicht zu heiß, im Wasser nach zwei und in der Erde nach acht Wochen. Wenn du begraben bist, fängst du also erst nach – Ah nein, rief er, laß doch, und dabei guckte er sie an, als hätte sie sich gerade danebenbenommen.
    Auf dem Friedhof hatte sie in Dorians Augen denselben Blick gesehen. Du mußt nicht bleiben, wollte sie ihm sagen, hast du Angst, von ihm zu träumen? Sicher, eines Nachts sucht er dich heim. Doch das wäre ja ohnehin kein Trost gewesen, nicht wahr?
    Auf dem Polizeifest hatte sie mit ihm getanzt, und damals hatte er wissen wollen, warum sie Polizistin geworden war und wie es ihr bei der Mordkommission gefiel, aber da das eine Frage war, die sie ohnehin verabscheute, wußte sie auch ihre Antwort nicht mehr. Man wurde etwas und schlug sich dann damit herum. Sie hatte angenommen, er hieß Florian.
    Sie hatte auch nie zuvor von seiner Mutter gehört. Es war ihr merkwürdig vorgekommen, wie er schon auf dem Friedhof, zehn Meter von der Leiche seines Bruders entfernt, darauf bestanden hatte, daß sie Katja Kammer kennen müsse. Sie ist eine berühmte Sängerin, hatte er gesagt, sie war auf der Bühne.
    Berühmte Sängerin. Klingt seltsam, nicht? Altmodisch, irgendwie rührend. Als hätte sie Opern gesungen oder so, schweren, feierlichen Kram.
    Nein, mit dem Namen Katja Kammer hatte sie nichts anfangen können. Sie hatte auch nicht gewußt, daß einer Dorian heißen konnte, das war ja so, als hießen seine Geschwister Tristan und Isolde. Dabei war der Name seines Bruders doch sehr schön, Robin. Das klang nach Popmusik, nach Gitarren. War eine komische Sache mit den Namen, früher hießen in den Sozialsiedlungen alle kleinen Kerle Denis und Jahre später die neuen kleinen Kerle Kevin, während in den Nobelvierteln die Jungs mit dem Namen Anton leben mußten, Jonas oder Dominik. Na, wie auch immer – »Verdammt noch mal«, sagte der Mann mit leiser, zischender Stimme, um dann Luft zu holen, als wolle er noch etwas sagen, doch es kam nichts mehr.
    Gut, ja, sie redete wieder zuviel und hatte selber auch keinen gescheiten Namen, als Kind hatte sie geglaubt, ihr fehle ein N. Als Kind hatte
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