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Sternenspiel

Sternenspiel

Titel: Sternenspiel
Autoren: Sergej Lukianenko
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mich um. Bis auf die funkelnden Konturen der Kabine war nichts hinter mir.
    Als ob diese Schale, angefüllt mit dunklem Feuer, außerhalb von Raum und Zeit stünde. Außerhalb der Welt der Geometer. In ewiger Nacht.
    Wofür war er geschaffen, dieser dunkle Altar, in dieser rationalen und korrekten Welt Der Heimat?
    »Abschied …«, flüsterte die Nacht. Eine Stimme aus dem Nichts, aber mit Sicherheit eine Stimme, kein telepathisches Signal.
    Ich drehte mich der Schale zu – gerade noch rechtzeitig! – und sah, wie über dem Steinkrater, über den roten Flammen, für den Bruchteil einer Sekunde ein winziges dunkles Sandkorn entstand. Zu weit weg, als dass ich die Umrisse eines menschlichen Körpers hätte erkennen können …
    »Hars Aignon, Operator des Cybersystems, Abschied …«
    Das Sandkorn fiel in die Tiefe, bis es sich in einen weißen Rauchfaden auflöste, den Feuersee berührte das Fleisch nämlich nicht – auf halbem Wege wurde es zu Rauch und stieg wieder auf, hinauf in den dunklen Himmel.
    »Abschied … Rini Sacco, weiblicher Schützling, Abschied …«
    Ein weiterer Körper segelte nach unten, verwandelte sich in Rauch und stieg hoch zum Firmament der Geometer.
    »Abschied … Dange Krin, Operator der Quarksreaktoren, Abschied …«
    Ich stand über der Schale eines Krematoriums. Über dem größten und seltsamsten Krematorium, das man sich vorstellen kann.
    Vermutlich gab es hier viele solcher Friedhofsvulkane. Selbst in einer dermaßen komfortablen und gefahrlosen Welt müssen öfter Menschen sterben.
    Aber mir reichte bereits diese Szene. Bis ans Ende meiner Tage. Die Dunkelheit, die lediglich durch die von Menschenhand geschaffene Gehenna am Boden des Kraters erhellt wurde, die fliederfarbenen Funken der Kabinen, die wenigen Silhouetten von Menschen und jene die Stille zerreißende, gleichmütige Stimme.
    »Abschied … Hati Lene, Kind, Abschied …«
    Um das Leben von Fremden zu verstehen, muss man sich ihren Tod anschauen.
    Vielleicht ist es ja richtig, wenn sich das Fleisch in Asche verwandelt und in den Himmel aufsteigt, damit es auf die Erde rieseln kann und in Form von Gras und Bäumen neu erwächst?
    Trotzdem brauchte man noch etwas anderes als diese sterilen Feueröfen und diese Balkons für die leidgeprüften Freunde.
    Und sei es ein grober Zementobelisk in der Nähe eines Trichters mitten in der endlosen sibirischen Taiga. Ein provisorischer Obelisk, der aber immer noch nicht durch eine Granitstele ersetzt worden ist. Immer noch steht er dort, in jener anderen Welt, in meiner Heimat. Und man kann ihn aufsuchen, die Stirn gegen die raue, bröckelnde Kante pressen und flüstern: »Ich bin gekommen …«
    Mir war nicht einmal bewusst, dass ich mit mir selbst gesprochen hatte.
    »Abschied …«
    »Fed?«
    Ich drehte mich um und bemerkte erst jetzt, dass ich mich weiter und weiter über den Rand gebeugt hatte. Noch ein, zwei Sekunden – und ich wäre zu einem Teil der Welt der Geometer geworden. Auf einfachem, direktem und sicherem Weg.
    Kattis Stimme war gerade rechtzeitig erklungen.
    »Wer bist du?«, fragte sie.
    Sie stand neben der Kabine, eine Hand auf die Glaswand in ihrem Rücken gelegt. Vermutlich hatte sie Angst.
    Und sei es vor den eigenen Schlussfolgerungen.
    »Katti, ich möchte allein sein«, sagte ich mit der Stimme des Ausbilders Fed.
    »Wer bist du?«
    Ich schwieg.
    Was hätte ich sagen können? Ich bin ein Mensch von dem Planeten Erde. Ich bin Pilot der Fluggesellschaft Transaero. Ich bin derjenige, der in Niks Körper geschlüpft ist. Derjenige, der den Ausbilder Fed umgebracht hat.
    »Niki?«, flüsterte sie. »Niki, bist du das? Ich weiß es doch! Niki, was ist mit dem Ausbilder? Was ist mit dir, Niki? Niki?«
    Etwas in mir zerbrach unter dem Blick dieser gepeinigten Frau mit ihrer ekelhaften Igelfrisur, diesem winzigen lebendigen Rädchen in der Welt der Geometer. Einer Fremden für mich, aber einer Vertrauten für Niki Rimer.
    Mein Gesicht weichte auf, zerfloss.
    »Abschied …«
    Ihr versteht es nicht zu leben, Geometer. Ihr, in eurer gut eingerichteten Welt, mit den auf ein Minimum reduzierten Bedürfnissen und den gekappten Emotionen, mit eurem Bedürfnis, die ganze Welt zu beglücken, ihr seid schon lange, sehr lange tot. Und selbst wenn die Ausbilder den Leichnam noch lange galvanisieren können – es ist kein Leben mehr darin.
    Wenn der Tod sich in ein Spektakel verwandelt, dann stimmt etwas nicht.
    »Ich bin Pjotr Chrumow«, sagte ich und machte einen Schritt
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