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Sternenschimmer

Sternenschimmer

Titel: Sternenschimmer
Autoren: Kim Winter
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Inneren des Schiffes. Der Rauch verlor sich nach und nach im Himmel. Die Sterne waren nicht mehr zu erkennen. Schließlich schien es, als ob nur noch ein dichter Nebel das Schiff umwölkte, in dessen Innerem sich allmählich zarte Konturen abzeichneten. Eine –, zwei –, drei –, vier – es wurden immer mehr. Wie wächserne Figuren standen sie da – anmutig und fremd, und doch den unseren auf eine Weise ähnlich, die mir den Mund offen stehen ließ. Obwohl ich ihre Gesichter noch nicht erkennen konnte, zeugte ihre Haltung von der lähmenden Angst, die sie haben mussten. Hier geschah etwas, das auch ihnen nicht real erschien. Etwas, das sie nicht zuordnen konnten.
    Die Luft klärte sich mehr und mehr auf. Immer weitere kleine Körper wurden sichtbar, bis nur noch einzelne Nebelschwaden am Boden entlangschlichen.
    Ich stand wie angewurzelt da und hielt schockiert die Hände vor den Mund. Mein Gott, so viele. SO VIELE!
    Sie wirkten derart allein auf dieser Welt, dass ein Schreckenslaut aus meiner Kehle stolperte. Die fremden Kinder sahen sich still und ängstlich um, hielten einander Halt suchend an den Händen und sahen so scheu und verloren aus, dass es schmerzte. Manche klammerten sich mit ihren winzigen Fingern an Taschen oder Koffern fest, aber die meisten hatten nicht mehr bei sich als das, was sie auf den abgemagerten Leibern trugen.
    Das war also Krieg. Paralysierte Gesichter, ausgehungerte Körper und Kinderaugen, die schon viel zu viel gesehen hatten. Das Wort Verzweiflung gewann für mich eine völlig neue Bedeutung.
    Die Kinder trugen alle irdische Kleidung, hochgeschlosseneHängerchen, Rollkragenpullis oder zugeknöpfte Hemden. Wenigstens hatte man sie im Raumschiff schon mit dem Nötigsten versorgt.
    Wir gingen auf das Schiff zu, denn Tanja wollte mit dem Leiter der Flüchtlingsüberführung sprechen. An der Gangway trafen wir den Mann, der gerade ausstieg. Tanja stellte uns vor und begann, weitere Informationen über die Herkunft der Kinder einzuholen, die sie nun mitnehmen sollte.
    In diesem Moment fuhren zwei Sanitäter einen verletzten jungen Mann die Gangway hinunter. Ein kleines blondes Mädchen hielt sich weinend am Rand seiner Trage fest. Als ein Krankenschiff rückwärts angeglitten kam, versuchte einer der Sanitäter, ihre Hände zu lösen. Sie klammerte sich an den Arm des Verletzten und versuchte, den Sanitäter von sich zu stoßen. Ihr Schluchzen klang so gequält, es schüttelte mein Herz.
    Der junge Mann streckte schwach eine Hand nach dem kleinen Mädchen aus und strich ihr über die Wange. Ich sah, wie sich die Lippen der beiden bewegten, aber ich konnte ihre Stimmen nicht hören, obwohl das Leid regelrecht aus ihren Augen schrie.
    Der Sanitäter beugte sich zu ihr hinab. »Du kannst nicht bei ihm bleiben. Iason muss so schnell wie möglich in ein Krankenhaus.«
    Die Lippen des Verletzten zitterten, dann formten sie sich erneut tonlos. HOPE, DU HEISST HIER HOPE, sagten sie, während sich die ausgestreckten Hände der beiden voneinander lösten.
    Das Mädchen blieb bitterlich weinend zurück, als die Sanitäter den jungen Mann in das Krankenschiff einluden.
    Ich schluckte hilflos.
    »Sein Name ist Iason Santo«, erklärte Tanja, während wir ihm gemeinsam nachblickten. »Er ist auf der Flucht angeschossen worden. Die Wunde hat sich auf dem Weg hierher entzündet. Wahrscheinlich die falschen Medikamente. Aber die Ärzte habenmir soeben versichert, dass er überleben wird. Die Kleine ist seine Schwester.«
    Erst jetzt fiel mir auf, dass ich mich im Verlauf der erschütternden Szene, die sich vor unseren Augen abspielte, an Tanjas Arm festgekrallt hatte. Ich ließ sie los und trat auf das Mädchen zu. Langsam, um sie nicht noch mehr zu verschrecken, ging ich neben ihr in die Hocke. »Dein Name ist Hope, richtig?«
    Die Kleine blickte mich aus großen grauen Augen an. Dann nickte sie und trocknete sich schniefend mit dem Ärmel ihres roten Rollis die Tränen. Als sie erneut zu weinen begann, zog ich sachte ihren Kopf an meine Schulter. »Schhh, kleine Hope – schhh – alles wird gut. Er kommt ja wieder.« Ich wusste nicht, ob sie mich verstand, aber mein sanfter Tonfall schien sie ein wenig zu beruhigen.

3

    E s war bedrückend still, als wir mit Hope und vier weiteren Kindern auf der Luftstraße in Richtung Westen unterwegs waren. Ein kleiner blonder Junge lag schlafend in meinen Armen. Sein Atem floss ruhig und gleichmäßig über meine Hand. Die anderen blickten ängstlich und
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