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Sterbensangst (German Edition)

Sterbensangst (German Edition)

Titel: Sterbensangst (German Edition)
Autoren: David Mark
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Subtile Accessoires – eine Designer-Lesebrille, Ohrringe aus Swarovski-Kristall, ein Hauch von rougefarbenem Lippenstift. Goldene Haut, angenehme Gesichtszüge. Ihre kurzgeschnittenen Haare sehen aus wie mit Bleistift gestrichelt. Sie trägt eine ärmellose Weste über einem rötlich braunen Pulli, dazu marineblaue, frisch gebügelte Hosen, die in dicken Wandersocken stecken. In der Hand hält sie ein Weinglas, das nur noch einen winzigen Spritzer Rot enthält.
    McAvoy drückt die Autotür gegen einen Windstoß auf, der ihm die Krawatte vom Hals zu reißen droht. »Das hier ist Privatbesitz«, meint die Frau, während sie sich nach einem Paar Gummistiefel neben der Tür bückt .
    »Haben Sie sich verfahren? Suchen Sie die Straße nach Driffield?«
    McAvoy spürt, wie ihm das Blut in die Wangen steigt. Er knallt die Wagentür zu, bevor der Wind mit seinen Notizen, die lose auf dem Beifahrersitz liegen, ein Tänzchen veranstalten kann. Rasch durchforstet er sein Gedächtnis nach ihrem Namen.
    »Mrs Stein-Collinson? Barbara Stein-Collinson?«
    Die Frau hat sich schon abgewendet, doch der Name lässt sie innehalten. Mit einem starren Ausdruck der Besorgnis dreht sie sich um. »Ja. Stimmt etwas nicht?«
    »Mrs Stein-Collinson, mein Name ist Detective Sergeant Aector McAvoy. Könnten wir vielleicht hineingehen? Ich fürchte, ich habe …«
    Sie schüttelt den Kopf, aber die abweisende Geste gilt nicht dem großen Polizisten. Sie scheint vielmehr etwas zu meinen, was sie nur im Geiste vor sich sieht. Eine Erinnerung. Ihre Züge werden weicher, und sie schließt die Augen.
    »Fred«, sagt sie, und die nächsten Worte klingen nicht wie eine Frage. »Der dumme alte Kerl ist tot.«
    McAvoy versucht, ihren Blick auf diese ernsthafte, tröstliche Art einzufangen, die er so gut beherrscht, doch sie beachtet ihn überhaupt nicht. Seltsam verlegen wendet er sich ab wegen der ungeschickten Art, wie er die Sache angepackt hat, diese einzige Mission, die ihm seine Vorgesetzten anscheinend zutrauen. Er betrachtet den Schnee, der ungerührt auf den Schotter fällt. Schnieft höflich, als seine Nase in der Kälte zu laufen beginnt.
    »Dann haben sie ihn also gefunden, ja?«, fragt sie schließlich.
    »Vielleicht könnten wir …«
    Ein unvermittelt wütender Blick schneidet ihm das Wort ab. Sie fletscht beinahe die Zähne und schüttelt so heftig den Kopf, dass ihr die Brille von der Nase rutscht, während sie mit einem Mal Kälte und Härte ausstrahlt. Sie spuckt die Worte aus, als wollte sie Stücke aus der Luft herausbeißen.
    »Mit vierzig gottverdammten Jahren Verspätung.«
    »Würden Sie bitte die Stiefel ausziehen? Wir haben einen hellen Boden in der Küche.«
    McAvoy bückt sich, um die vollgesogenen, dreifach gebundenen Schnürsenkel zu lösen. Lässt die Augen aus seinem Blickwinkel in Kniehöhe durch die kleine Garderobe schweifen. Keine Gummistiefel. Keine Hundekörbe. Keine Mülltüten oder Zeitungen, die auf das nächste Freudenfeuer oder den nächsten Gang zum Container warten. Für Ankömmlinge, denkt er instinktiv.
    »Also«, sagt sie, während sie über ihm steht wie ein Monarch, der sich bereitmacht, den Ritterschlag zu erteilen. »Wo haben sie ihn gefunden?«
    McAvoy blickt hoch, aber er kann keinen Augenkontakt herstellen, ohne sich den Hals zu verrenken, und er bekommt seine Schnürsenkel nicht auf, ohne hinzuschauen. »Wenn Sie mir nur noch eine Sekunde Zeit lassen, Mrs Stein-Collinson …«
    Sie antwortet mit einem gereizten Seufzer. Er stellt sich vor, wie ihre Miene sich verhärtet. Versucht zu entscheiden, ob es mehr Schaden anrichtet, wenn er ihr die Details aus dieser äußerst unvorteilhaften Position heraus mitteilt, oder ob er die arme Dame warten lassen soll, bis er die Stiefel ausgezogen hat.
    »Er befand sich etwa siebzig Meilen vor der isländischen Küste«, sagt McAvoy und versucht dabei, so viel Empathie und Mitleid in seine Stimme zu legen, wie er kann. »In einem Rettungsfloß. Ein Tanker hat es gesichtet, und die Suchmannschaften eilten sofort zu der bezeichneten Stelle.«
    Es gelingt ihm, einen Stiefel vom Fuß zu zerren, wobei er sich Daumen und Zeigefinger dick mit Schlamm beschmiert. Heimlich wischt er sich die Hand am Hosenboden ab, während er anfängt, den anderen Stiefel zu bearbeiten.
    »Unterkühlung, vermute ich«, meint sie nachdenklich. »Er hätte keine Pillen geschluckt. Hätte nicht gewollt, sich zu betäuben, unser Fred. Wollte wohl dasselbe fühlen, das sie auch gespürt
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