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Sterbensangst (German Edition)

Sterbensangst (German Edition)

Titel: Sterbensangst (German Edition)
Autoren: David Mark
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sich selbst enttäuscht. McAvoy fragt sich, ob es richtig war, das Mädchen ›schwarz‹ zu nennen. Wäre es angemessener, die amtliche Phrase zu verwenden? Ist es falsch, ihre Hautfarbe so zur Kenntnis zu nehmen? Ist er ein guter Detektiv oder nur frömmer als der Papst? Er weiß, dass nur wenige Beamte sich mit solchen Feinheiten abgeben, aber McAvoy könnte ohne Roisins Fähigkeit, ihn zu besänftigen, glatt ein Magengeschwür vor Sorge deswegen bekommen.
    »Also schön«, meint McAvoy und lässt den Blick kurz auf der Leiche des Mädchens ruhen, bevor er ihn zur Decke richtet. »Was haben sie Ihnen erzählt, die Zeugen?«
    Tremberg konsultiert ihr Notizbuch. »Sie ist Messdienerin, Sarge. Eine Ministrantin. Die tragen während der Prozession die Kerzen. Sitzen während des Gottesdienstes vor dem Altar. Assistieren dem Priester. Ein Haufen pompöser Zeremonialkram. Anscheinend ist es eine große Ehre. Daphne war seit ihrem zwölften Lebensjahr dabei.« Trembergs Tonfall suggeriert so viel Skepsis und hochgezogene Augenbrauen, dass man bei ihr auf religiöse Glaubenssätze irgendwo südlich von agnostisch schließen könnte.
    »Sie gehen wohl nicht regelmäßig zur Sonntagsmesse?«, fragt McAvoy mit schwachem Lächeln.
    Tremberg prustet verächtlich. »In meiner Familie waren die Sonntage für Grand-Prix-Rennen reserviert. Die Formel-1 haben wir allerdings mit religiöser Inbrunst verfolgt.«
    Irgendwo knallt von einem plötzlichen Windstoß eine Tür auf, und einen Augenblick lang sieht McAvoy draußen Grabsteine und Friedhofstore, Weihnachtsbeleuchtung und Uniformen, während ein Blaulicht rhythmisch aufblitzt und die Dunkelheit in umlaufenden Kreisen durchzuckt. Er kann sich die Szene vorstellen. Constables in gelben Mänteln, die blau-weiß gestreiftes Flatterband an den schmiedeeisernen Toren anbringen. Säufer aus den umliegenden Pubs, die über halb geleerte Gläser lugen, während die Autofahrer auf dem Vorplatz Krieg spielen und nur Zentimeter vor einem Zusammenstoß kreischend zum Halten kommen. Besorgte Fahrer, die herausspringen und Angehörige abholen wollen, die den Gottesdienst besucht haben und sich jetzt auf den kalten, schneeverwehten Platz hinauswagen, um sich von dem Entsetzlichen wegbringen zu lassen, dessen Zeugen sie waren.
    »Wer immer das getan hat, wusste also, dass sie hier sein würde?«
    »Falls er speziell hinter ihr her war, Sarge. Möglicherweise hat er sein Opfer auch willkürlich ausgewählt.«
    »Das stimmt. Gibt es dahin gehende Hinweise?«
    »Nein, bisher nicht. Ich habe hier eine Aussage eines gewissen Euan Leech, der gesehen zu haben glaubt, dass der Kerl zwei andere Ministranten beiseitegeschubst hat, um an sie ranzukommen, aber bei all dem Durcheinander …«
    »Und die anderen Zeugen?«
    »Waren sich nicht sicher. Sahen nur urplötzlich seine Gestalt vor dem Altar auftauchen, im nächsten Moment hackte er auf das Mädchen ein, und dann ging alles im Chaos unter. Vielleicht wird das Bild klarer, wenn sie Zeit hatten, darüber nachzudenken.«
    »Und noch nichts von den Streifen? Keine Spur von ihm?«
    »Rein gar nichts. Es ist zu windig für den Hubschrauber, und inzwischen sowieso zu spät. Aber bei der Menge Blut, die er an sich hatte, muss er jemandem aufgefallen sein …«
    »Okay«, sagt McAvoy. Er wendet sich von der Leiche des Mädchens ab und sieht Tremberg an. Verglichen mit seiner Roisin sieht sie eher durchschnittlich aus, aber sie hat ein Gesicht, das einem Künstler gefallen könnte. Schmale, elfengleiche Züge an einem runden, breiten Kopf, wie eine Gourmetmahlzeit im Zentrum eines großen, blanken Tellers. Sie ist hochgewachsen und athletisch, um die dreißig, und kleidet sich auf unaufdringliche, dezente Weise, so dass sie weder für die männlichen Beamten zum Sexobjekt wird noch für die machiavellistischen Kolleginnen zu einer Bedrohung. Sie ist humorvoll, energisch, und man kommt gut mit ihr aus. Im Moment verrät ein leichtes Zittern ihrer Lippen, wie sehr ihr bei dem Gedanken, in die Jagd nach diesem Killer verwickelt zu sein, das Adrenalin durch die Adern schießt. Aber das überspielt sie mit einer Nonchalance, die McAvoy gefällt.
    »Ihre Familie«, sagt er. »War sie hier?«
    »Heute nicht. Sonst schon. Der Küster sagte, dass sie Freunde der Kirche sind, was immer das heißen mag. Aber nein, diesmal war sie alleine hier. Ihre Leute haben sie abgesetzt, und später wollte sie alleine nach Hause gehen. Das behauptet jedenfalls einer der anderen
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