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Sterben War Gestern

Sterben War Gestern

Titel: Sterben War Gestern
Autoren: Corinna Waffender
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Zeitpunkt weder wusste, warum seine Kollegin Juliane Meyfarth an diesem Morgen nicht zur Arbeit erschienen war, noch, womit sich seine Patientin Nowak die letzten drei Tage beschäftigt hatte. Das Rostocker Ermittlerteam hatte die Staatsanwaltschaft um zwei Tage Rückendeckung und Verschwiegenheit gebeten. Kriminalhauptkommissar Erich Werle erhoffte sich dadurch mehr Spielraum, um an die Drahtzieher der Morde heranzukommen, die laut Ellen Weyer in einem Schweizer Pharmaunternehmen saßen. Ob mit ihren Recherchen und diversen Unterlagen genügend Beweismaterial für weitere Schritte vorlag, war jedoch fraglich. Inge Nowak wusste, dass nur ein Teil des Falles abgeschlossen war. Nun müsste langwierige intensive Polizeiarbeit folgen, um die Auftraggeber von Juliane Meyfarth ausfindig zu machen. Erste Überprüfungen des Bankkontos hatten zwar im letzten Jahr mehrere Bareinzahlungen hoher Summen auf ihr Konto ergeben, doch woher das Geld gekommen war, wäre nicht nachzuweisen. Das Einzige, was ihnen blieb, war das Handy der Psychologin und eine Rückverfolgung der Telefonnummern. Allerdings war nicht davon auszugehen, dass der Kopf einer derart kriminellen Vereinigung so unvorsichtig wäre, einen eingetragenen Telefonanschluss zu nutzen. Wenn die Verbindung zu Juliane Meyfarth nicht sowieso über einen Mittelsmann gelaufen war. Ihr ehemaliger Chef? Reine Spekulation. Auch der Mörder von Lydia Kronberg war mit Sicherheit bereits untergetaucht, er hatte kaum verwertbare Spuren hinterlassen; möglicherweise könnte man sein Profil ähnlichen Auftragsmorden zuordnen, aber das wäre auch schon alles. Dennoch glaubte die Berliner Hauptkommissarin auch in diesem Fall an Gerechtigkeit und die richtige Mischung aus akribischer Ermittlungsarbeit und Zufall, durch die sich Täter in der Regel überführen ließen. Und sie setzte auf Gert Hoffmann. Wenn es einen Menschen gäbe, der die Ausdauer besäße, die unbekannten Substanzen zu einem Medikament zusammenzusetzen, das irgendwo auf der Welt produziert und patentiert würde, dann er.
    „Ich bin“, gab sie Zikowski zur Antwort, „erschöpft.“
    „Sie haben ja auch eine ganze Nacht nicht geschlafen“, nickte der Therapeut verständnisvoll. „Was haben Sie denn stattdessen gemacht?“
    „Geweint“, antwortete Inge wahrheitsgemäß und wunderte sich über ihre Offenheit.
    „Worüber?“
    „Über meine Unfähigkeit aufzupassen.“
    „Auf wen würden Sie denn aufpassen wollen?“
    „Auf die Menschen, die mich umgeben.“
    „Und auf sich selbst?“
    „Auch.“
    „Und was passiert, wenn Sie das nicht tun?“
    „Dann geht alles schief und ich bin schuld.“
    „Fühlen Sie sich denn schuldig?“
    Inge lachte verbittert auf. „Deshalb bin ich ja wohl hier.“
    „Weshalb?“, fragte er nach.
    „Weil ich nicht damit klarkomme, das Leben anderer zerstört zu haben.“
    „Sie glauben, dass Sie das Leben anderer zerstören können?“
    „Nein, natürlich nicht.“ Sie schüttelte leicht den Kopf und zuckte dann mit den Schultern. „Oder doch. Zumindest hat meine Verantwortungslosigkeit zu einer Katastrophe geführt.“
    „Es gibt also etwas, das Sie bereuen.“ Er stellte das einfach so fest. Und Inge Nowak begriff vielleicht in diesem Augenblick zum allerersten Mal, dass etwas ganz und gar unwiderruflich geschehen war.
    Sie nickte.
    „Was würden Sie denn anders machen, wenn Sie die Möglichkeiten hätten, die Zeit noch einmal zurückzudrehen?“
    Die Hauptkommissarin dachte nach. Erinnerte sich an den Morgen, an dem sie mit der Zeitung den ersten Drohbrief aus dem Briefkasten geholt hatte. Sie war auf dem Weg zum Bäcker gewesen, hatte kein Brot mehr zu Hause gehabt und wollte nicht bei Verónica frühstücken. Früher hatten sie das abwechselnd getan, einmal bei der einen, einmal bei der anderen, aber seit sie die Durchgangstür zwischen ihren beiden Wohnungen häufiger geschlossen hielten, kam es immer seltener vor. Der Umschlag war aus der Zeitung auf den Boden gefallen und Inge hatte auf den ersten Blick gesehen, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Die Art, wie ihr Name darauf geschrieben war, die fehlende Briefmarke und kein Absender – wie oft hatte sie solche Schreiben schon in durchsichtige Tüten verpackt der Spurensicherung übergeben.
    Ich bring dich um, du alte Fotze, das schwöre ich dir.
    Beim Lesen der kleinen fettgedruckten Worte auf weißem Papier, hatte sie sich geschämt. Noch nie hatte sie jemand so genannt. Das Blut schoss ihr sofort in den Kopf,
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