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Sterben War Gestern

Sterben War Gestern

Titel: Sterben War Gestern
Autoren: Corinna Waffender
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Ruhe.
    Mit geschlossenen Augen versuchte sie das eben nur flüchtig betrachtete Zimmer zu erinnern, in dem sie saß. Das kleine resopalumrandete Bett, daneben der scheinbar freischwebende Nachttisch mit einem stoffummantelten Lämpchen darauf. Von der gleichen Sorte hing noch eine Lampe von der Decke. Gab es einen Schrank? Eine Kommode? Vorhänge? Inge hielt die Augen geschlossen. Vielleicht ließ sich die Realität verändern, wenn man die Vorstellung nur intensiv genug wirken ließ.
    Hör auf, immer alles schön zu reden! Sieh doch mal hin, wie es wirklich aussieht. Muss immer alles so sein und werden, wie du es dir ausgemalt hast?
    Die Stimme in ihrem Kopf war ihr mehr als vertraut. Bei diesen Worten hatte Verónica damals ihre Kaffeetasse auf die Anrichte in der Küche geknallt und sie zum ersten Mal einfach sitzen lassen.
    Es klopfte.
    Inge Nowak öffnete die Augen und sah gegenüber an der Wand die dritte Lampe, die nicht weniger lächerlich aussah als die beiden anderen. Dann schaute sie in den kleinen Flur, von dem das winzige Bad abging und der mit der Zimmertür endete.
    „Ja, bitte?“ Sie setzte sich auf, in Alarmbereitschaft.
    Statt die Klinke herunterzudrücken und hereinzukommen, rief ein Mann durch die geschlossene Tür: „Ich wollte nur fragen, ob es Ihnen wieder besser geht? Und ob Sie vielleicht etwas brauchen?“
    Draußen stand der Schlaksige, nun etwas leichter gekleidet, ein wenig gebeugt und mit gesenktem Kopf. Er sah aufrichtig besorgt aus. „Habe ich Sie gestört?“
    Sie schüttelte müde den Kopf. „Ich hörte, Sie haben mich vor einer Gehirnerschütterung oder Schlimmerem bewahrt.“
    Seine Gesichtszüge entspannten sich merklich. „War mir ein Vergnügen.“ Dann streckte er ihr unvermittelt seine Rechte entgegen. „Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle: Ewald Klee.“
    „Inge Nowak, freut mich.“ Sie versuchte ein Lächeln. „Oder was sagt man hier?“
    Er grinste. „Vor allem, wahrscheinlich eher ‚du‘.“
    „Wahrscheinlich, ja.“
    „Kommst du mit runter zum Essen?“
    Gerade als sie den Kopf schütteln wollte, schob er nach: „Ich glaube, das ist eine Pflichtveranstaltung.“
    Schlagartig wurde ihr klar, dass sie nicht im Türrahmen eines Wellnesshotels stand und mit einer Urlaubsbekanntschaft plauderte, sondern in jener Klinik angekommen war, in die ihr Hausarzt sie mit den Worten geschickt hatte: „Sie brauchen ärztliche Hilfe, Frau Nowak, alleine kommen Sie aus Ihrer Depression nicht mehr heraus. Und vor allem werden Sie immer kränker und labiler. Ich kann die Verantwortung dafür nicht mehr übernehmen.“ Die Akuteinweisung in die Fachklinik Seerose an der Ostsee hatte sie noch am gleichen Tag bei ihrer Krankenkasse abgegeben und nun, neun Wochen später, war sie hier.
    „Ich brauche noch einen Moment im Bad, okay?“
    Ewald Klee nickte und trat einen Schritt zurück. „Ich warte im Foyer auf dich.“
    Man hatte Inge und Ewald gemeinsam platziert. Sie saßen nebeneinander, an einem Tisch mit Seeblick, an dem sie von zwei neugierigen Augenpaaren gemustert wurden.
    An Inges Platz lag eine weinrote Stoffserviette mit einem Plastikschildchen, in das ein orangefarbenes Zettelchen mit ihrem Namen geschoben worden war. Ewalds Schildchen zeigte seinen Namen auf grünem Untergrund, und sie fragte sich, ob man hier ernsthaft Männer und Frauen nach Farben unterschied und wenn ja, weshalb. Unauffällig ließ sie ihren Blick auf die Servietten der beiden Tischgenossinnen schweifen, um erstens festzustellen, dass die eine Angela Esser und die andere Ellen Weyer hieß, und zweitens, dass ihre Namen beide auf Grün gedruckt waren. Das machte sie stutzig. War sie ein besonders schwerer Fall? Würde sie eine Sonderbehandlung bekommen?
    „Orange ist Fleisch“, sagte die Jüngere der beiden freundlich und deutete auf Inges Schildchen. „Muss man jeden Tag nach dem Frühstück in den Schrank da drüben hängen.“
    Wahrscheinlich so alt wie Marit, um die Dreißig, dachte Inge Nowak. Die Ältere daneben war schätzungsweise fünfzig, also ungefähr in Inges Alter. Hatte sie auch so tiefe Furchen auf der Stirn? Und solche Tränensäcke unter den Augen?
    Ellen Weyer zeigte in Richtung Buffet und auf das Loch am oberen Rand des Namensschildchens. „Du hast zwei so Kärtchen. Grün ist vegetarisch, Orange Fleisch. Was du haben willst, lässt du liegen, das andere hängt im Schrank. Wenn du weißt, dass du nicht zum Essen kommst, hängst du beide in den Schrank.“
    Inge sah zu
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