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Sterben War Gestern

Sterben War Gestern

Titel: Sterben War Gestern
Autoren: Corinna Waffender
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Zimmernachbarn nicht zu stören, oder hörte eine der Entspannungs-CDs, die man sich in der Bibliothek samt tragbarem CD-Player ausleihen konnte. Schwester Agathe war während ihres heutigen Bereitschaftsdienstes nur einmal gestört worden – der Patient aus Zimmer 405 hatte um eine Wärmflasche gebeten. Die Krankenschwester war erschöpft, sie hatte schon einen anstrengenden Arbeitstag gehabt. Ausgestreckt und mit hinter dem Kopf verschränkten Armen lag sie auf der Pritsche im Schwesternzimmer und erlaubte sich, den Pieper ans Revers geheftet, das Handy in der Kitteltasche und das mobile Kliniktelefon in der rechten Hand, ein ganz klein wenig zu dösen.
    Als es dicht neben ihrem Ohr klingelte, schreckte sie sofort hoch, drückte geistesgegenwärtig auf die grüne Taste und sprach ohne Zögern klar und deutlich in den Hörer: „Fachklinik Seerose, Schwester Agathe, ja bitte?“
    „Moin! Bei euch brennt was! Ich glaub die Raucherhütte.“ Die männliche Stimme am anderen Ende klang nicht besonders aufgeregt. „Wir haben Meldung bekommen, rücken jetzt mal an.“
    Noch immer leicht benommen, rutschte Agathe Simonis von der Liege, fuhr sich durch ihre kurzen Haare, die nach dem Liegen nach allen Seiten abstehen mussten, und lief eilig auf die Terrasse. Noch bevor sie den Blick ganz nach links wandte, nahm sie die zuckende Helligkeit aus dem Augenwinkel wahr. Sie kam nicht von dem Feuerplatz, an dem sich die Patienten am Abend mit ihren Therapeuten zu einem Reinigungsritual getroffen hatten, wie es regelmäßig einmal in der Woche stattfand. Es kam aus der Richtung des ehemaligen Wasserwachthäuschens: Aus den Fenstern des Raucherraums schlugen Flammen.
    Ein Ruck ging durch den schmalen Körper von Schwester Agathe. Sie musste etwas tun. Schon hörte sie die Sirenen der Feuerwehr, als sie die Nummer des Professors wählte. Heute war sie ganz sicher: Dies war einer der Fälle, in denen er geweckt werden wollte.
    Inge Nowak erwachte von Sirenen. Trotz der starken Schlafmittel im Blut setzte sie sich sofort auf und betrachtete bewegungslos die wilden Schatten, die die Blaulichter an die Wände warfen. Träumte sie schon wieder schlecht oder fuhren vor ihrem Fenster wirklich Einsatzwagen der Feuerwehr vorbei? Sie schlug die Bettdecke zurück, knöpfte den obersten Knopf ihrer Pyjamajacke zu, schlüpfte in ihre Flipflops vor dem Bett und ging auf den Balkon. Bis hierhin konnte es noch ein Albtraum sein, einer von vielen nächtlichen Filmen, die allesamt mit Sirenen begannen und verbrannten Körpern aufhörten. Nicht selten kam sie im Badezimmer oder in der Küche bei dem Versuch zu sich, einen Eimer Wasser zu holen, oder am Fenster, weil sie den Brand nur spürte oder hörte, nicht aber sehen konnte. Doch der Lärm vor der Klinik und auf der Straße war zu real für einen Traum, das sich hektisch drehende Licht auf dem nun folgenden Krankenwagen zu vertraut und das Stimmengewirr unten am Eingang zu deutlich.
    „Der Raucherklub brennt!“
    „Wegen dem Lagerfeuer?“
    „Quatsch. Das ist doch viel zu weit weg.“
    „Außerdem war das total aus, als wir gegangen sind.“
    „Hat bestimmt einer seine Kippe nicht richtig ausgemacht!“
    „Dann ist jetzt hoffentlich endlich Schluss mit der Raucherei.“
    Inge Nowak atmete innerlich auf. Es war also eine Hütte, die brannte, kein Wohnhaus. Kein Unfall oder Schlimmeres. Ihr Herz, das bis zum Halse schlug, beruhigte sich ein wenig, sie ging zurück in ihr Zimmer und schloss die Balkontür, um das Ereignis auszusperren. Sie war nicht im Dienst und morgen würde sie sicher alles darüber erfahren, ohne dass sie auch nur eine Frage stellen müsste.
    An Schlafen war jetzt allerdings nicht mehr zu denken. Zu dicht waren ihr die Geräusche gekommen, zu lange hatte sie dem Blaulicht nachgestarrt, das in Richtung Strand verschwunden war.
    Damals nach dem Attentat hatte sie gleich ihren Vorgesetzten angerufen und ihm alles erzählt. Kriminalrat Helmut Frickel hatte am anderen Ende lange geschwiegen und dann gesagt: „Kommen Sie morgen in mein Büro und reden Sie bis dahin mit niemandem darüber.“ Erst am Abend war sie ins Krankenhaus gefahren. Bis dahin hatte sie die Zeit damit verbracht, sich unaufhörlich Vorwürfe zu machen und die von Verónica einzustecken, die nicht weniger unter Schock stand als sie selbst. Schweigend waren beide mit dem Aufzug zur Intensivstation gefahren. Johannas Mutter hatte man ein starkes Beruhigungsmittel verabreicht, das sie noch davon abhielt,
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