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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte
Autoren: Hans Bemmann
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läßt.«
    »Solange einer etwas tut, hat er auch Hoffnung«, sagte der Alte. »Du hast ja auch noch deinen Zirbel.«
    Sie hielten jetzt zwischen den letzten Bäumen an, schauten hinaus auf die sanfte Rundung der übergrasten Kuppe, die sich vor ihnen in den fast grünen Himmel hob.
    »Ich gehe jetzt über den Berg«, sagte der Alte.
    »Schade«, sagte Lauscher. »Ich muß unter den Bäumen bleiben.«
    »Dann raste eine Weile unter der Eberesche dort drüben«, sagte der Alte. »Das ist ein guter Platz.« Er winkte ihm noch einmal zu und stieg dann langsam den Wiesenhang hinauf. Die Abendsonne schien von Südosten her auf seinen Rücken, hell und strahlend, und schließlich sah es aus, als sei dieser alte Steinsucher eine einzige, golden lodernde Flamme, ehe er hinter der Kuppe verschwand.
    Dann wurde es unversehens dunkel, obwohl die Sonne noch immer am Himmel stand. Lauscher hing schwankend auf seinem Pferd und spürte, daß diese Dunkelheit nicht von außen kam, sondern irgendwo innen hinter seinen Augen aufstieg. Es gelang ihm noch, Blondschopf hinüber zu der alten Eberesche zu lenken, und es machte ihm nicht mehr viel aus, daß er dabei ein paar Schritte unter freiem Himmel reiten mußte, ehe er im Schatten des mit unzähligen feuerroten Beerendolden behängten Baumes wieder Schutz fand. Er ließ sich aus dem Sattel gleiten und lag dann eine Zeitlang fast bewußtlos am Fuße des Stammes.
    Es war kalt und dunkel, als er wieder die Augen öffnete. Und dann stand auch schon der Graue über ihm und blickte ihn mit seinen leeren Augen an.
    »Ich dachte, an diesem Platz sei man sicher vor deinesgleichen«, sagte Lauscher.
    »Wofür hältst du mich?« sagte der Graue. »Bin ich ein Troll aus dem Krummwald oder irgend so ein Wiedergänger? Ich bin überall, weil ich das Nichts bin, in das du jetzt stürzen wirst.« Und als Lauscher ihn weiterhin schweigend anstarrte, fuhr er fort: »Was ist denn nun aus deinem Leben geworden? Alles hast du vertan, was du besessen hast, und jetzt liegst du hier im Gras, ein kraftloser Greis mit leeren Händen.«
    Als er den Grauen so reden hörte, packte Lauscher noch einmal ein gewaltiger Zorn. Er richtete sich auf, zunächst auf den Knien, doch dann gelang es ihm, sich mit Hilfe des Zirbelstocks zu seiner vollen Größe aufzurichten, daß er dem Grauen Auge in Auge gegenüberstand. »Du weißt ja überhaupt nicht, was ich noch alles habe!« schrie er dem Grauen ins Gesicht. »Hier drin habe ich das alles«, und dabei schlug er sich mit der Faust auf die Brust, »das lebendige Licht des Augensteins, den Klang meiner Flöte, all das habe ich noch!«
    »Auch schon etwas«, sagte der Graue trocken. »Das alles ist nicht mehr wert als eine taube Nuß, du Träumer. Zeig’s mir doch, wenn du kannst!«
    »Eins kann ich dir noch zeigen, du farbloser Geselle!« rief Lauscher und war jetzt schon wieder ganz fröhlich, daß er doch noch etwas in der Hand hatte. »Meinen Zirbel hier, den werde ich dir zeigen!« und er packte den Stock am dünnen Ende, schwang ihn hoch hinauf über seinen Kopf und haute ihn mit aller Kraft, die sein verbrauchter Körper noch hergab, dem grauen Gespenst mitten zwischen die leeren Augen.
    Er hätte wissen müssen, daß er ins Nichts schlug. Der Schwung riß ihn fast von den Beinen. Während er eben noch sah, wie die Gestalt des Grauen wie blasser Rauch auseinanderwehte, durchzuckte seine Brust ein stechender Schmerz, als habe ihm jemand einen Dolch ins Herz gerammt. Einen Augenblick stand er noch aufrecht, doch dann brach er zusammen.
    Als er die Augen wieder aufschlug, war es hell. Über dem Geäst der Eberesche breitete sich ein weiter, golden schimmernder Himmel aus, an dem eine herrlich leuchtende Sonne stand, doch es war eine Sonne, in die man hineinschauen konnte, ohne geblendet zu werden, ein Farbenspiel von unbeschreiblicher Vielfalt, schön wie ein lebendiges Auge, das auf ihn herabschaute und mit seinem Licht sein Herz wärmte.
    Lange lag Lauscher nur da und freute sich an dieser Sonne. Dann stand er auf, nahm seinen Zirbel zur Hand, trat unter den Ästen der Eberesche hervor, und es fiel ihm schon kaum mehr auf, daß er ohne jede Beklemmung unter diesem Himmel stehen konnte. Er sah vor sich die sanfte Kuppe des Berges, und es überkam ihn die Lust, auf diesen Gipfel zu steigen und den weiten Rundblick zu bewundern, der sich von dort oben darbieten mußte. Schon nach wenigen Schritten fiel ihm dann ein, daß es richtig wäre, überhaupt nichts auf diesen
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