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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte
Autoren: Hans Bemmann
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man ihn ›Der-die-Hoffnung-nicht-aufgibt‹. Siehst du, so ist das gewesen. Der Mäuserich machte übrigens gar nicht so viel Aufhebens davon, sondern sagte nur: So schwierig war das doch gar nicht. Man muß nur daran glauben, daß die Liebe alles lebendig macht, was tot zu sein scheint.«
    Die kleine Rikka hatte die ganze Zeit über still in ihrer Wiege gelegen und Lauscher mit ihren schwer zu beschreibenden Augen angeschaut. »Hoffnung gibt«, sagte sie jetzt, als er schwieg, aber es war wohl eher der Klang der Worte gewesen, der sie zur Nachahmung reizte, als daß sie deren Bedeutung verstanden hätte. Für wen habe ich das eigentlich erzählt? dachte Lauscher. Für dieses Kind? Für den Schmied, der um den Tod seiner Frau trauert? Für Arnilukka, von der diese Geschichte handelt? Oder für mich selber? Er hätte es nicht sagen können. Doch wer weiß denn, ob ein Kind nicht doch schon etwas vom Sinn einer solchen Geschichte begreift?

    Ein paar Tage später machte sich Lauscher auf den Ritt ins Flachtal. Er führte sein Pferd am Zügel, während Arnilukka ihn noch bis zum Waldrand begleitete und ihn bei der anderen Hand hielt, damit ihm der Weg unter dem offenen, tiefblauen Himmel leichter fiel. Es war klares, sonniges Herbstwetter. Die Äste der Obstbäume auf dem Wiesenhang, über den sie hinaufstiegen, bogen sich unter der Last der Äpfel und Birnen, und das Laub der Zwetschgenbäume wurde verdunkelt durch die in Trauben hängenden blauvioletten Früchte. Im Gehen brach Arnilukka einen rot überflammten Apfel vom Zweig, biß ein Stück ab und gab ihn dann Lauscher. Als er davon aß, rann ihm der schäumende Saft über die Lippen und füllte ihm den Mund, süß und herb zugleich. So gingen sie schweigend bis zu den Haselstauden, hinter denen die grausilbern schimmernden Stämme der Buchen aufragten. Die Nüsse waren noch nicht ganz reif, also ließen sie die fransigen Büschel hängen und umarmten einander zum Abschied. »Im Frühjahr, sobald die Wege wieder frei sind, komme ich dich mit der kleinen Rikka besuchen«, sagte Arnilukka.
    »Ich werde das Flachtal nicht mehr verlassen«, sagte Lauscher, und dieser Satz klang in seinen eigenen Ohren so endgültig, daß er sich fragte, ob er Arnilukka damit nur hatte sagen wollen, daß sie ihn dort vorfinden werde, oder ob sich hinter diesen Worten noch etwas anderes verbarg. Er blickte ihr in die Augen, als könne er dort die Antwort darauf finden, und tauchte noch einmal ein in das geheimnisvolle und nie zu ergründende Farbenspiel von Blau, Grün und Violett, das ihn umfing wie das Leben selbst. Dann küßten sie einander, und Lauscher stieg, nicht ohne einige Mühe, in den Sattel, während Arnilukka sein Pferd am Kopfriemen hielt. Diesmal blieb Arnilukka am Waldrand zurück und blickte ihm nach. Wenn er sich im Sattel umdrehte, konnte er sie noch eine Zeitlang auf der smaragdenen unter der Sonne leuchtenden Wiese stehen sehen, bis ihm die zusammenrückenden Stämme des Waldes die Sicht verdeckten.
    Er ritt talabwärts zwischen den Buchenstämmen dahin, bis er in den Weg zum Schauerwald einbiegen konnte. Bald gelangte er hinauf in die Region der Fichten, unter denen der Hufschlag seines Pferdes durch das dicke Polster abgestorbener Nadeln gedämpft wurde. Es roch nach Pilzen, und dann sah er sie auch zwischen den braunschorfigen Stämmen im Moos stehen, ganze Herden von dottergelben Pfifferlingen, vereinzelt auch die braunsamtigen Kappen der Steinpilze, dazwischen alles mögliche andere Gelichter, dem nicht recht zu trauen war. Er machte sich nicht die Mühe, vom Pferd zu steigen. Drüben im Flachtal würden genug davon in den Wäldern wachsen.
    Nachdem er eine Weile den immer steiler ansteigenden Weg hinangeritten war, sah er vor sich zwischen den nun schon flechtenbehangenen Stämmen einen kleinen, etwas gebückt voranschreitenden Mann gehen, der offenbar das gleiche Ziel hatte wie er. Erst als er schon ziemlich nahe heran war, drehte sich dieser Wanderer nach dem Reiter um, und da erkannte Lauscher den Steinsucher, dem er schon mehrmals begegnet war. Er ließ sein Pferd noch die wenigen Schritte bis zu dem Alten gehen und wollte dann absteigen, um ihn zu begrüßen, doch dieser winkte ab und sagte: »Bleib du nur im Sattel sitzen, Lauscher. Du bist auch nicht mehr der Jüngste, und das Steigen könnte dich allzusehr anstrengen.«
    Lauscher war erleichtert, daß er dieses letzte, steilste Wegstück nicht zu Fuß hinter sich bringen mußte. Er gab dem Alten, der
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