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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte
Autoren: Hans Bemmann
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Sache ist das«, sagte er schließlich, nachdem er sich Lauschers Erläuterungen angehört hatte. »Da schlägt man im Wald ein Stück lebendiges Holz ab, läßt es verdorren und trocken werden, bis kein Leben mehr in ihm zu sein scheint, haut es dann mit dem Beil zurecht, bohrt sein Innerstes heraus und dreht mit dem scharfen Stahl die äußere Form ab, durchbohrt dann auch noch dieses dünne, fast schon zerbrechliche Rohr an allen möglichen Stellen und fügt ihm auf diese Weise jede nur denkbare Verletzung zu, bis nichts mehr geblieben ist von seiner natürlichen Gestalt, und erst dann fängt dieses Holz an zu klingen und ein völlig neues, anderes Leben zu gewinnen.«
    »Geht es dir denn anders mit deinem Eisen?« sagte Lauscher. »Auch das ist irgendwann einmal im Innern des Berges gewachsen, doch dieses Erz muß dort mit Hacken und Hämmern herausgeschlagen und zertrümmert und in der Glut des Feuers ausgeschmolzen werden, bis nichts mehr von seiner natürlichen Gestalt übrigbleibt. Aber dieses reine Metall kannst du, wenn du es wieder zum Glühen bringst, zu jeder neuen Form schmieden, und erst dann kann es den Sinn erfüllen, der in ihm verborgen liegt, schön zu sein in seiner neuen Gestalt oder nützlich als Werkzeug zum Bebauen der Äcker.«
    »Oder zum Töten«, sagte der Schmied. »Alles, was Menschen schaffen, ist zum Guten wie zum Bösen zu gebrauchen. Auch die Klinge, die Urla ins Herz gefahren ist, habe ich selbst für Azzo geschmiedet. Seither mache ich keine Waffen mehr, dafür aber andere Sachen. Wenn ihr satt seid, zeige ich euch etwas.«
    Er führte sie zu seiner Werkstatt, und als er die Tür öffnete, tönte das helle Klingen des Hammers, das sie schon während der Mahlzeit herübergehört hatten, plötzlich doppelt so laut. Am Amboß stand, halb nackt unter der breiten Lederschürze, ein Geselle und schlug auf ein rotglühendes, schon flachgeklopftes Stück Eisen ein. Neben ihm an der Mauer fauchte ein Feuer unter dem scharfen Wind des Blasebalgs, der von einem Jungen bedient wurde, und zwischen den hellrot aufglühenden Kohlestücken lag ein spindelförmiger, bis zur Weißglut erhitzter Eisenbarren.
    Der Schmied ging seinen beiden Gästen voraus zum Hintergrund des Raums und hob von der zerkerbten Werkbank einen Gegenstand, der dort zwischen ein paar kleineren Hämmern und Feilen gelegen hatte. Zunächst konnte Lauscher im Halbdunkel nicht herausfinden, was das für ein seltsam verschlungenes Gebilde war, doch als der Schmied damit näher zum Feuer ging, traten die Konturen deutlicher hervor, und Lauscher erkannte die in einfachen, auf das Wesentliche zurückgeführten Formen dargestellten Figuren zweier Menschen, eines Mannes und einer Frau, die eng beieinander standen und sich umarmten. Lauscher bewunderte, wie viel Zartheit der Schmied in dem spröden Material hatte zum Ausdruck bringen können, und dann hörte er, wie dieser sagte: »Als ich nach Urlas Tod noch einmal über den Platz ging, lag dort noch immer Azzos Dolch. Keiner hatte ihn an sich nehmen wollen. Da hob ich ihn auf und trug ihn in meine Werkstatt. Den Flitterkram auf dem Griff habe ich weggeworfen, denn er hätte mich nur daran erinnert, wie dieses funkelnde Ding aus Urlas Rücken ragte. Aber aus der Klinge, die in ihrem Herzen geruht hatte, habe ich das hier gemacht.«
    Lauscher wußte nichts zu sagen, als der Schmied das Gebilde wieder auf die Werkbank gelegt hatte. Sollte er das Geschick seines Gastgebers loben, die Schönheit des eisengeschmiedeten Paares oder einfach sagen, daß ihm die Arbeit gefiel? All das wäre ihm selbst läppisch und unangemessen in den Ohren geklungen. Auch Arnilukka schwieg, aber sie wußte auf eine bessere Art auszudrücken, was sie empfand, und umarmte den gewaltigen Mann, der, obwohl sie ihm kaum bis ans Kinn reichte, wie ein Kind wirkte, das von seiner Mutter getröstet wird.
    Als sie die Werkstatt verlassen und die Tür hinter sich geschlossen hatten, hörten sie zwischen den jetzt wieder gedämpfter herüberklingenden Hammerschlägen das Kind lachen. »Jetzt ist Rikka aufgewacht«, sagte der Schmied. »Eigentlich wolltet ihr ja sie besuchen und nicht mich.«
    »Euch beide«, sagte Arnilukka und öffnete eine andere Tür, die zu einem Zimmer auf der Rückseite des Hauses führte. Durch das Fenster blickte man hinaus auf einen übersonnten Garten; über den blauen und violetten Blüten der Astern hingen die Äste brechend voll rotbackiger Äpfel und gelber Birnen. Rikka saß in ihrer
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