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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte
Autoren: Hans Bemmann
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Weg mitzunehmen. Es gibt nichts schöneres, als mit leeren Händen unter diesem Himmel zu gehen, dachte er, rammte den Zirbel in die Wiese und schritt weiter den Hang hinan.
    Auf halber Höhe blickte er sich noch einmal um, und da sah er, wie sein Zirbel eben die ersten Zweige trieb. Büschel dunkelgrüner Nadeln entfalteten sich, der Steckling wuchs mit unglaublicher Kraft und schoß in die Höhe, bis er riesig aufgerichtet über der Wiese aufragte, ein Ebenbild des Baumes, der er einmal gewesen war, und schon schwollen in seinem Wipfel die blaugrünen Zapfen, reiften aus und ließen ihre Samen herabregnen, aus denen weitere Zirben emporsprießten und zu gewaltigen Bäumen heranwuchsen, und aus diesem herrlichen Wald wehte süßer, harziger Duft zu ihm herauf und erfreute sein Herz, und während er noch diesen hochragenden Wald bewunderte, hörte er den Klang einer Flöte, eine Musik, die schöner war als alles, was er je gehört hatte, und er lauschte dieser unbeschreibbaren Melodie, doch dann sah er auch, wer sie spielte; denn zwischen den dunklen Pyramiden der Zirben trat der Sanfte Flöter hervor, spielte mit seinen zarten Händen auf einem unsichtbaren Instrument und kam mit tänzelnden Schritten zu ihm heraufgegangen.
    »Da bist du ja endlich«, sagte er, als er bei ihm angekommen war, und während er sprach, tönte doch ohne Unterbrechung diese wunderbare Melodie immer weiter.
    »Wie machst du das?« fragte Lauscher. »Du spielst mit deinen Fingern in der Luft, als hättest du eine Flöte in den Händen, und selbst wenn du sprichst, hört diese Musik nicht auf.«
    »Ach«, sagte der Sanfte Flöter, »das ist doch nichts Besonderes. Das lernst du schnell. Hier braucht man sich eine Musik nur vorzustellen, und schon beginnt sie zu klingen. Daß ich dabei noch immer meine Finger ein bißchen bewege, ist nur eine alte Angewohnheit. Komm mit mir über den Berg! Wir haben schon auf dich gewartet, denn solche Leute wie du werden hier gebraucht.«
    »Gebraucht?« wiederholte Lauscher. »Wozu soll ein alter, schwächlicher Mann wie ich noch zu brauchen sein?« Doch schon während er noch sprach, merkte er, daß er Unsinn redete, denn er fühlte sich so frei und unbeschwert, daß er den steilen Hang am liebsten hinaufgerannt wäre.
    »Siehst du!« sagte der Sanfte Flöter. »Jetzt fängt alles erst richtig an. Was du bisher erfahren hast, das war doch nur eine Vorahnung vom Anfang und längst noch nicht alles.«



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