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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke
Autoren: Stefan Zweig
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Leben seiner gehemmten und gestockten Erotik im ungeheuerlichen und vernichtenden Ausdruck verströmt, und einem Werke wie dem ›Zerbrochenen Krug‹, wo der bloße Techniker aus einem Könnerstolz und einer gar nicht zwanghaften Spannungsfreude ein Thema beinahe spielhaft angeht. Er unterscheidet deutlich die einzelnen Dämonien, die sich gleichsam plastisch im Werke isolieren, als gestauter Tatendrang in den einzelnen Werken austoben, bis dann das letzte, das nachgelassene Werk, der ›Prinz von Homburg‹, sie alle in einem einzigen Strombett vereint und Kleist endlich nach vielen Verwandlungen in der Urform seines Blutes als der preußische Dichter der Pflicht, der Anwalt der Bändigung und der Heros der Zucht sich gestaltet, und dies gerade im Augenblick, wo er schon bereit ist, sich selbst zu vernichten. Daran schließt sich noch der rasche, aber umgreifende Blick über die Erzählungen. Auch hier das gleiche Problem der Besessenheit vom Stoffe, die Wollustkunst der quälenden Spannung, die Feststellung des Mangels an positiver Erzählerfreude – und schon ist die ganze Atmosphäre Kleistens gewissermaßen im Fluge durchdrungen, ihr Feurigstes entrafft und ihr Gehalt vergeistigt. Niemals schien mir Gundolf so stark, so genial in der Gabe der Abgrenzung, der Knappheit als hier, wo der Gegenstand ihm Härte von sich gab und diese merkwürdig normale, bis zur Rücksichtslosigkeit unsentimentale Art seiner Klarsichtigkeit kann vorbildlich sein für alle Darsteller, die bei den großen Gestalten immer gleich selbst in das Kleistsche Verhängnis, in eine »Verwirrung des Gefühls« hineingeraten. Hier ist literarische Materie nicht wie sonst paraphrasiert und auszüglich nachgebildet, sondern wahrhaft beherrscht, von oben herab gesehen, ohne Hochmut, aber doch von gesichertem Standpunkt. Und gerade in der scheinbaren Kälte des Urteils, in dem Verhalten des Mitgefühls entfaltet sich produktiv ein Ethos, das unserer neueren Literaturgeschichte sonst fremd geworden ist und noch irgendwo von verschatteter Quelle, von Lessing her, einem großen Darsteller zurückgekehrt ist.
    So steht dieses Buch ernst und stark, klar und gewichtig vor der Zeit: mir fehlt persönlich nur noch eines zur vollen Rundung des Kunstwerkes, und das wäre die gleich große, gleich gerechte Analyse der ergreifendsten Tragödie von Heinrich von Kleist: eine eingefügte Analyse seines Lebens. War es akademische Rücksicht, die ein Werk auf das rein Literarische beschränken wollte, die Gundolf abgehalten hat, die Formen von Kleistens Kunst aus Formen seines Lebens, aus Szenen und Perspektiven seines Schicksals vergleichend zu entwickeln – gewiß ist, daß er mit einer gewissen Absichtlichkeit alle biographischen Elemente aus den Analysen der Werke, aus der Darstellung des Menschen weggelassen hat. So ist, wer Kleist in seiner Ganzheit erkennen will, genötigt, noch eine Biographie des Dichters dieser großartigen Studie zur Seite zu legen und das geistige Bild durch ein historisches zu ergänzen, während es mir, und ich glaube: vielen, glückhaft gewesen wäre, diese Darstellung und Durchdringung gleichzeitig mit der kritischen Überhöhung gerade von Gundolf geformt zu sehen. Er scheint mir der Einzige, der Gestalten erlauchter, abseitiger und dichterischer ethischer Erhobenheit, wie die Kleistens – und hoffentlich bald auch die Hölderlins – im Urzusammenhang von Gestalt und Gestaltung darstellen könnte, und es ist mein einziges Bedauern bei diesem bedeutenden Buch, daß es sich einzig auf die Gestaltung, auf das Geistige beschränkt und nicht auch die Gestalt, das dämonische Schicksal, in den wunderbar geschlossenen Kreis der Erklärung und Beschwörung einbezogen hat.

Das Buch als Weltbild
    Reclam’s Universum. Sonderheft zum 100jaehrigen Bestehen des Verlages Philipp Reclam jun. Leipzig. 45. Jahrgang, Heft 1.
    S eit Jahrtausenden war es die Leidenschaft jedes geistigen Menschen, sich ein möglichst vollkommenes Weltbild zu schaffen, und dies war möglich ohne äußere Behelfe, solange die Welt noch im Spannraum der äußeren Sinne lag. Der Grieche kannte seine Landschaft, seine Denkmäler, seine Dichter und Künstler aus eigener Anschauung, die historische Vergangenheit war kurz und reichte kaum über das Alter der Ahnen hinaus, die Sprache umspannte eine beschränkte Anzahl von Vokabeln, die Wissenschaft ein fast handgreiflich nahes Netz von Gesetzen. Wir können uns kaum mehr veranschaulichen, wie gering, gemessen an dem
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