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Starkes Gift

Starkes Gift

Titel: Starkes Gift
Autoren: Dorothy L. Sayers
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Kann dieser Antrag, der tatsächlich gemacht wurde, vernünftigerweise als Mordmotiv angesehen werden? Und ich muß Sie nachdrücklich darauf hinweisen, daß in der Beweisaufnahme kein anderes Motiv genannt wurde. «
    An diesem Punkt sah man die alte Jungfer auf der Geschworenenbank sich etwas notieren – sehr entschieden, nach den Bewegungen ihres Bleistifts übers Papier zu urteilen. Lord Peter schüttelte ein paarmal langsam den Kopf und brummelte etwas Unverständliches vor sich hin.
    »Danach«, sagte der Richter, »scheint sich zwischen den beiden etwa drei Monate lang nichts Besonderes ereignet zu haben, außer daß Harriet Vane bei Miss Marriott wieder auszog und sich eine eigene kleine Wohnung in der Doughty Street nahm, während Philip Boyes, der ganz im Gegensatz zu ihr sein einsames Leben sehr bedrückend fand, die Einladung seines Vetters Norman Urquhart annahm, zu ihm in sein Haus am Woburn Square zu ziehen. Obwohl nun beide im selben Londoner Stadtviertel wohnten, scheinen sich Boyes und die Angeklagte nach ihrer Trennung nicht häufig begegnet zu sein. Das eine oder andere Mal haben sie sich zufällig bei Freunden getroffen. Die Daten dieser Zusammentreffen sind nicht mit Sicherheit festzustellen – es waren formlose Einladungen –, aber es gibt Hinweise, wonach eines gegen Ende März stattgefunden hat, ein anderes in der zweiten Aprilwoche und ein drittes irgendwann im Mai. Diese Zeiten sind es wert, festgehalten zu werden, wenn ihnen auch, da sich der jeweils genaue Tag nicht feststellen läßt, keine allzu große Bedeutung zukommt.
    Nun aber kommen wir zu einem Tag von allergrößter Bedeutung. Am 10. April trat eine junge Frau, die als Harriet Vane identifiziert wurde, in Mr. Browns Apotheke in der Southhampton Row und kaufte zwei Unzen handelsüblichen Arsens, um angeblich Ratten damit zu vernichten. Im Giftbuch unterschrieb sie mit dem Namen Mary Slater, und die Handschrift wurde als die der Angeklagten identifiziert. Darüber hinaus gibt die Angeklagte selbst zu, diesen Kauf aus bestimmten Gründen getätigt zu haben. Es ist darum vergleichsweise unerheblich – aber Sie möchten es sich vielleicht doch merken –, daß der Hausmeister des Wohnblocks, in dem Harriet Vane wohnt, hier als Zeuge aufgetreten ist und Ihnen gesagt hat, daß es in dem ganzen Viertel keine Ratten gibt und, seit sie dort wohnt, auch nie gegeben hat.
    Wir wissen dann von einem weiteren Arsenkauf am 5. Mai. Damals kaufte die Angeklagte nach eigenen Angaben eine Dose mit einem arsenhaltigen Unkrautvertilger von derselben Marke, wie sie im Kidwelly-Giftmordprozeß erwähnt wird. Diesmal nannte sie sich Edith Waters. Zu ihrer Wohnung gehört aber gar kein Garten, und in der ganzen Umgebung besteht kein denkbarer Anlaß für den Einsatz eines Unkrautvertilgers.
    Bei mehreren Gelegenheiten kaufte die Angeklagte in der Zeit von Mitte März bis Anfang Mai noch andere Gifte, darunter Blausäure (angeblich für fotografische Zwecke) und Strychnin. Ferner versuchte sie, allerdings erfolglos, Aconitin zu kaufen. Jedesmal wurde ein anderes Geschäft aufgesucht und ein anderer Name angegeben. Das Arsen ist das einzige Gift, das diesen Fall direkt berührt, aber die anderen Käufe sind doch auch nicht unwichtig, da sie das Tun und Lassen der Angeklagten in dieser Zeit beleuchten.
    Die Angeklagte hat uns für diese Giftkäufe eine Erklärung gegeben, über deren Stichhaltigkeit Sie selbst entscheiden müssen. Sie sagt, sie habe damals gerade an einem Roman über einen Giftmord gearbeitet und die Gifte gekauft, um experimentell zu beweisen, wie leicht ein normaler Mensch an tödliche Gifte heranzukommen vermag. Zum Beweis dafür hat ihr Verleger, Mr. Trufoot, das Manuskript dieses Buches vorgelegt. Sie haben das Manuskript in den Händen gehabt und können es auf Wunsch noch einmal bekommen, wenn ich mit meiner Zusammenfassung fertig bin, damit Sie es sich im Beratungszimmer ansehen können. Es wurden Ihnen Auszüge daraus vorgelesen, die zeigten, daß der Roman von einem Mord mit Arsen handelt, und darin wird auch geschildert, wie eine junge Frau in eine Apotheke geht und eine erhebliche Menge von diesem tödlichen Stoff kauft. Ich muß hier noch etwas anmerken, was ich schon eher hätte erwähnen sollen, nämlich daß es sich bei dem bei Mr. Brown gekauften Arsen um die handelsübliche Version handelt, die, wie das Gesetz es vorschreibt, mit Holzkohle oder Indigo gefärbt ist, um Verwechslungen mit Zucker oder anderen harmlosen
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