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Starkes Gift

Starkes Gift

Titel: Starkes Gift
Autoren: Dorothy L. Sayers
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wehen zu lassen. Und der Herr Anklagevertreter weist ferner darauf hin, daß der Briefschreiber mit dem Satz: ›Ich halte es hier nicht mehr aus‹, gemeint haben muß, ›hier in Großbritannien‹, vielleicht auch nur ›hier in Harlech‹, und daß der Satz, wenn er sich auf Selbstmord bezöge, einfach heißen würde: ›Ich halte es nicht mehr aus.‹
    Zweifellos haben Sie sich zu diesem Punkt schon Ihre eigene Meinung gebildet. Wichtig ist, sich zu merken, daß der Verstorbene um ein Treffen am 20. gebeten hat. Die Antwort auf diesen Brief liegt uns vor. Sie lautet:
     
    ›Lieber Phil,
    Du kannst am 20. gegen halb zehn kommen, wenn Du magst, aber Du wirst mich mit Sicherheit nicht umstimmen.‹
     
    Unterzeichnet ist dieser Brief einfach mit ›H.‹ Ein sehr kalter Brief, werden Sie vielleicht denken – im Ton fast feindselig. Trotzdem wird die Verabredung für halb zehn getroffen.
    Ich werde Ihre Aufmerksamkeit nun nicht mehr lange in Anspruch nehmen müssen, aber gerade jetzt muß ich noch einmal ausdrücklich darum bitten – obwohl Sie die ganze Zeit sehr geduldig bei der Sache waren –, denn wir kommen zum eigentlichen Todestag.«
    Der alte Mann legte die Hände auf den Stapel Notizen, eine über die andere, und beugte sich ein wenig vor. Er hatte es alles im Kopf, obwohl er vor drei Tagen noch gar nichts davon gewußt hatte. Er war noch nicht soweit, von grünen Feldern und der Kinderzeit zu faseln; er stand noch mit beiden Beinen in der Gegenwart und hielt sie in seinen knorrigen Händen fest, die grauen, kalkigen Nägel tief hineingekrallt.
    »Philip Boyes und Mr. Vaughan kamen am Abend des 19. zusammen wieder nach London zurück, und es gibt nicht den kleinsten Zweifel daran, daß Boyes sich da der besten Gesundheit erfreute. Boyes verbrachte die Nacht bei Mr. Vaughan, und zum Frühstück nahmen sie wie gewöhnlich Speck und Ei, Toast, Marmelade und Kaffee zu sich. Um elf Uhr trank Boyes ein Glas Guinness, wobei er, auf eine Reklame anspielend, bemerkte, daß es ›dem Besten zum Besten‹ sei. Um ein Uhr nahm er einen kräftigen Lunch in seinem Club zu sich, und nachmittags spielte er mit Mr. Vaughan und ein paar anderen Freunden ein paar Sätze Tennis. Während des Spiels kam von einem der Spieler die Bemerkung, Harlech habe Boyes gutgetan, worauf er antwortete, er fühle sich so gesund wie schon seit Monaten nicht mehr.
    Um halb acht ging er zum Abendessen zu seinem Vetter, Mr. Norman Urquhart. Dabei wurde weder an seinem Aussehen noch an seinem Verhalten etwas Ungewöhnliches bemerkt, nicht von Mr. Urquhart und auch nicht von dem Mädchen, das bei Tisch bediente. Das Abendessen wurde um Punkt acht Uhr aufgetragen, und ich fände es gut, wenn Sie sich diese Zeit aufschrieben (falls Sie es nicht schon getan haben), ebenso wie die Liste der verzehrten Speisen und Getränke.
    Die beiden Vettern speisten allein miteinander, und vorweg trank jeder von ihnen als Aperitif ein Glas Sherry. Es handelte sich um einen guten Oleroso des Jahrgangs 1847, und das Mädchen hatte ihn aus einer frischen Flasche abgefüllt und in die Gläser geschenkt, als sie in der Bibliothek saßen. Mr. Urquhart hält an dem schönen alten Brauch fest, das Mädchen während des ganzen Mahls zur Bedienung am Tisch zu haben, was für uns hier von Vorteil ist, denn dadurch haben wir für diesen Teil des Abends stets zwei Zeugen. Sie haben das Mädchen, Hannah Westlock, im Zeugenstand gesehen, und ich glaube, auch Sie werden sagen, daß sie den Eindruck einer vernünftigen und aufmerksamen Zeugin macht.
    Soviel zum Sherry. Dann kam eine kalte Bouillon aus einer Terrine auf der Anrichte von Hannah Westlock aufgetragen. Es war eine sehr kräftige, gute Suppe, die sich zu einer klaren Gallerte gesetzt hatte. Beide Männer nahmen davon, und nach dem Essen wurde die restliche Bouillon in der Küche von Miss Westlock und der Köchin aufgegessen.
    Danach gab es Steinbutt mit Sauce. Wieder wurden die Portionen auf der Anrichte geschnitten, die Saucenschüssel wurde vom einen zum andern gereicht, und wieder wurden anschließend in der Küche die Reste verzehrt.
    Der nächste Gang war ein Poulet en casserole – das ist ein zerlegtes, langsam mit den Gemüsen in einem feuerfesten Geschirr gegartes Huhn. Auch davon nahmen beide etwas, und die Dienstboten aßen den Rest in der Küche.
    Der letzte Gang war ein süßes Omelett, das Philip Boyes selbst bei Tisch auf einem Tischkocher zubereitete. Sowohl Mr. Urquhart als auch sein Vetter
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