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Starkes Gift

Starkes Gift

Titel: Starkes Gift
Autoren: Dorothy L. Sayers
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diese Dame muß von jedem Verdacht gereinigt in die Welt hinausgehen, freigesprochen nicht nur von diesem Gericht, nein, freigesprochen auch vor dem Gericht der öffentlichen Meinung. Jede Unklarheit wäre hier unerträglich, Mylord, und ich bin mir für das, was ich sage, der Zustimmung des verehrten Herrn Staatsanwalts gewiß.«
    »Selbstverständlich«, sagte der Staatsanwalt. »Ich bin angewiesen, Mylord, hier bekanntzugeben, daß die Krone die Anklage gegen die Untersuchungsgefangene zurücknimmt, weil sie von ihrer Unschuld vollkommen überzeugt ist.«
    »Das freut mich zu hören«, sagte der Richter. »Untersuchungsgefangene, die Krone hat mit der vorbehaltlosen Zurücknahme der gegen Sie erhobenen Anklage Ihre Unschuld aufs deutlichste aufgezeigt. Niemand wird von nun an auch nur den kleinsten Makel an Ihnen sehen können, und ich gratuliere Ihnen von ganzem Herzen zu diesem glücklichen Ende Ihres langen Leidensweges. Bitte, bitte – ich habe ja volles Verständnis für diejenigen, die jetzt applaudieren, aber wir sind hier weder im Theater noch auf dem Fußballplatz, und wer nicht ruhig ist, muß des Saales verwiesen werden. Meine Damen und Herren Geschworenen, finden Sie die Angeklagte ›schuldig‹ oder ›nicht schuldig?‹«
    »Nicht schuldig, Mylord.«
    »Sehr gut. Die Angeklagte wird wegen erwiesener Unschuld freigesprochen und sofort auf freien Fuß gesetzt. Der nächste Fall, bitte.«
    So endete, sensationell bis zuletzt, einer der sensationellsten Mordprozesse des Jahrhunderts.
    Harriet Vane ging als freie Frau die Treppe des Gerichtsgebäudes hinunter, wo Eiluned Price und Sylvia Marriott sie erwarteten.
    »Menschenskind!« sagte Sylvia.
    »Ein dreifaches Hoch!« sagte Eiluned.
    Harriet begrüßte die beiden ein wenig geistesabwesend.
    »Wo ist Lord Peter Wimsey?« fragte sie. »Ich muß mich bei ihm bedanken.«
    »Das kannst du dir sparen«, sagte Eiluned barsch. »Ich habe ihn wegfahren sehen, kaum daß das Urteil gesprochen war.«
    »Oh!« machte Miss Vane.
    »Er wird dich wohl mal besuchen«, meinte Sylvia.
    »Nein, der nicht«, widersprach Eiluned.
    »Warum nicht?« fragte Sylvia.
    »Zu anständig«, sagte Eiluned.
    »Ich fürchte, du hast recht«, sagte Harriet.
    »Der junge Mann gefällt mir«, sagte Eiluned. »Du brauchst nicht zu grinsen. Er gefällt mir wirklich. Er wird nicht auf die König-Kophetua-Tour reisen, und dafür ziehe ich den Hut vor ihm. Wenn du ihn sehen willst, mußt du schon nach ihm schicken.«
    »Das werde ich nicht tun«, sagte Harriet.
    »O doch, du wirst«, sagte Sylvia. »Ich hatte recht, was den Mörder anging, und ich werde auch darin recht behalten.«
     
    Lord Peter Wimsey fuhr noch am selben Abend nach Duke’s Denver. Er traf die Familie in heller Aufregung an, mit Ausnahme der Herzoginwitwe, die zufrieden mitten in dem ganzen Trubel saß und strickte.
    »Hör mal, Peter«, sagte der Herzog, »du bist der einzige, auf den Mary hört. Du mußt was unternehmen. Sie will deinen Freund heiraten, diesen Polizisten.«
    »Ich weiß«, sagte Wimsey. »Und warum sollte sie nicht?«
    »Das ist doch lächerlich«, sagte der Herzog.
    »Ganz und gar nicht«, antwortete Lord Peter. »Charles ist einer von den besten.«
    »Das mag ja sein«, sagte der Herzog, »aber Mary kann doch keinen Polizisten heiraten.«
    »Nun hör du mal zu«, sagte Wimsey, indem er seine Schwester unterhakte, »du läßt mir Polly in Ruhe. Charles hat zu Beginn dieses Mordprozesses einen Fehler gemacht, aber er macht nicht viele, und eines Tages wird er ein großer Mann sein, mit Titel und allem Drum und Dran, verlaß dich darauf. Wenn du mit jemandem Streit suchst, kannst du ihn mit mir haben.«
    »Mein Gott!« sagte der Herzog. »Du willst doch nicht etwa eine Polizistin heiraten?«
    »Nicht ganz«, sagte Wimsey. »Ich heirate die Angeklagte.«
    »Was?« rief der Herzog. »Großer Gott, wie, was?«
    »Wenn sie mich haben will«, sagte Lord Peter Wimsey.

Über Dorothy L. Sayers (1893-1957)
    Ich bin in Oxford geboren, im vierten Jahr vor Queen Victorias diamantenem Jubiläum. Mein Vater war damals Headmaster der Schule des Domchors, wo es zu seinen Pflichten gehörte, kleine Teufel mit Engelsstimmen in den Grundlagen des Lateinischen zu unterrichten. Als ich viereinhalb Jahre alt war, erhielt er die Pfarre von Bluntishamcum-Earith, in Huntingdonshire – eine einsame Landgemeinde, die einer der alten Häfen oder Brücken der Isle of Ely war und zu der bis heute die Wälle eines römischen Lagers
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