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Starkes Gift

Starkes Gift

Titel: Starkes Gift
Autoren: Dorothy L. Sayers
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gegessen habe und keinerlei Beschwerden hatte. Und, wohlgemerkt, daß mein Vetter es selbst zubereitet hat.«
    »Das hat er. Vier Eier, wenn ich mich recht erinnere, mit Zucker und Marmelade aus den, sagen wir, normalen Vorräten. Nein – am Zucker oder der Marmelade hat es bestimmt nicht gelegen. Äh – ich glaube, ich gehe recht in der Annahme, daß eines der Eier angeknackst war, als es auf den Tisch kam?«
    »Möglich. Aber das weiß ich nun wirklich nicht mehr.«
    »Nein? Nun gut, Sie stehen ja nicht unter Eid. Aber Hannah Westlock erinnert sich, daß Sie, als Sie ihr die Eier brachten – Sie haben sie nämlich selbst gekauft, Mr. Urquhart – zu ihr gesagt haben, daß eines angeknackst sei, und daß Sie es ausdrücklich für das Omelett verlangt haben. Sie haben es zu diesem Zweck sogar selbst in die Schüssel gelegt.«
    »Na und?« fragte Mr. Urquhart, vielleicht ein wenig unsicherer als zuvor.
    »Es ist nicht besonders schwer, in ein angeknackstes Ei Arsen in Pulverform zu praktizieren«, sagte Wimsey. »Ich habe es selbst mit einem Glasröhrchen ausprobiert. Mit einem kleinen Trichter ginge es vielleicht sogar noch besser. Arsen ist ziemlich schwer. Etwa ein halbes Gramm paßt auf einen Teelöffel. Es sammelt sich unten im Ei, und an der Schale kann man alle Spuren leicht abwischen. Mit flüssigem Arsen wäre es natürlich noch leichter, aber aus einem ganz bestimmten Grunde habe ich das Experiment mit gewöhnlichem weißem Pulver gemacht. Es ist sehr gut löslich.«
    Mr. Urquhart hatte eine Zigarre aus seinem Etui genommen und zündete sie recht umständlich an.
    »Wollen Sie damit sagen«, fragte er, »daß beim Verquirlen von vier Eiern ein bestimmtes vergiftetes Ei wie durch ein Wunder von den anderen dreien getrennt geblieben ist und seine Giftladung nur an einer Seite des Omeletts deponiert hat? Und daß mein Vetter sich bewußt die vergiftete Seite genommen und mir die andere überlassen hat?«
    »Nicht doch, nicht doch«, sagte Wimsey. »Ich sage nur, daß das Arsen im Omelett war und mit dem Ei hineingekommen ist.«
    Mr. Urquhart warf sein Streichholz ins Kaminfeuer.
    »Ihre Theorie scheint mir so brüchig zu sein wie das Ei.«
    »Ich bin mit meiner Theorie noch gar nicht fertig. Der zweite Teil setzt sich aus lauter kleinen Beobachtungen zusammen. Ich will Sie Ihnen aufzählen: Ihre Abneigung, zum Essen zu trinken, Ihr Teint, ein paar Schnipsel von Ihren Fingernägeln, ein paar von ihren wohlgepflegten Haaren – die nehme ich alle zusammen, gebe noch ein Päckchen weißes Arsen aus dem Geheimschrank in Ihrem Büro dazu, reibe kurz die Hände – so – und was wird daraus? Hanf, Mr. Urquhart, Hanf.«
    Er malte eine Schlinge in die Luft.
    »Ich verstehe nicht«, sagte der Anwalt heiser.
    »O doch, Sie verstehen genau«, sagte Wimsey. »Hanf – woraus man Stricke macht. Hanf ist eine feine Sache. Also, weiter mit dem Arsen. Wie Sie wissen, tut es einem im allgemeinen nicht gut, aber da gibt es Leute – zum Beispiel diese lästigen Bauern in der Steiermark, die immerzu von sich reden machen – von denen es heißt, sie essen es zum Spaß. Es fördert ihre Verdauung, sagen sie, hellt Ihren Teint auf und läßt ihr Haar glänzen, und aus demselben Grunde geben sie es auch ihren Pferden – wobei hier der Teint keine Rolle spielt, versteht sich, denn Pferde haben nicht viel Teint – aber Sie verstehen, was ich meine. Dann war da dieser schreckliche Mann, dieser Maybrick – der hat es auch genommen, wie es heißt. Jedenfalls ist bekannt, daß manche Menschen Arsen zu sich nehmen und nach einiger Zeit der Gewöhnung ziemlich große Mengen vertragen, an denen ein normaler Mensch sterben würde. Aber das wissen Sie ja alles selbst.«
    »Ich höre es zum erstenmal.«
    »Was glauben Sie eigentlich damit zu erreichen? Na schön. Wir wollen so tun, als ob das alles neu für Sie wäre. Also, irgend jemand – den Namen habe ich vergessen, aber es ist alles bei Dixon Mann nachzulesen – wollte einmal wissen, wie das funktioniert, und hat es an ein paar Hunden und anderen Viechern ausprobiert und etliche davon umgebracht, könnte ich mir vorstellen, aber schließlich hatte er heraus, daß flüssiges Arsen, das von den Nieren verarbeitet wird, sehr unverträglich ist, festes Arsen aber täglich in immer größeren Mengen verabreicht werden kann, und daß mit der Zeit diese Dinger – die ›Röhrchen‹, wie mal eine alte Frau in Norfolk dazu gesagt hat – sich daran gewöhnen und es einfach passieren
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