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Starkes Gift

Starkes Gift

Titel: Starkes Gift
Autoren: Dorothy L. Sayers
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»Wenn Sie Ihre unerhörte Geschichte zu Ende erzählt haben, weiß ich vielleicht, was ich abstreiten muß und was nicht.«
    »Ach so, ja«, sagte Wimsey. »Ich werde versuchen, es Ihnen so einleuchtend wie möglich darzulegen. Natürlich bin ich kein Jurist, aber ich will mich bemühen, möglichst logisch vorzugehen.«
    Er redete erbarmungslos weiter, während die Zeiger der Uhr eine Runde vollendeten.
    »Soweit ich sehe«, sagte er, nachdem er die ganze Frage des Motivs hatte Revue passieren lassen, »lag es sehr in Ihrem Interesse, sich Mr. Philip Boyes vom Hals zu schaffen. Der Kerl war ja in meinen Augen auch wirklich ein Schädling und Schmarotzer, und ich an Ihrer Stelle hätte wohl so ähnlich darüber gedacht wie Sie.«
    »Ist das Ihre ganze phantastische Anklage?« fragte der Anwalt.
    »Keineswegs. Ich komme jetzt auf den springenden Punkt. ›Langsam aber sicher‹, lautet mein Motto. Ich sehe, daß ich schon siebzig Minuten Ihrer kostbaren Zeit in Anspruch genommen habe, aber glauben Sie mir, die Stunde war nicht vertan.«
    »Angenommen, Ihre ungeheuerliche Geschichte wäre wahr, was ich allerdings nachdrücklich verneine«, warf Mr. Urquhart ein, »würde es mich doch einmal sehr interessieren, wie ich ihm Ihrer Meinung nach das Arsen gegeben haben soll. Haben Sie sich dafür eine geniale Lösung ausgedacht? Oder soll ich womöglich mein Dienstmädchen und meine Köchin zu Komplizen gemacht haben? Das wäre ein wenig unvorsichtig von mir, finden Sie nicht, und würde der Erpressung Tür und Tor öffnen.«
    »Es wäre so unvorsichtig«, sagte Wimsey, »daß sich bei einem Mann von Ihrem Weitblick die Frage gar nicht stellt. Die Versiegelung dieser Burgunderflasche verrät zum Beispiel eine alle Möglichkeiten in Betracht ziehende Denkweise – dies sogar in ungewöhnlich hohem Maße. Ich muß sagen, diese Geschichte hat mich von vornherein hellhörig gemacht.«
    »So?«
    »Sie fragen, wie und wann Sie ihm das Gift gegeben haben sollen. Nicht vor dem Essen, denke ich. Die Voraussicht, mit der Sie zum Beispiel die Wasserflasche geleert haben – o nein, auch das wurde nicht übersehen! – und die Umsicht, mit der Sie dafür sorgten, daß Sie Ihren Vetter in Gegenwart von Zeugen begrüßten und keine Sekunde mit ihm allein waren – ich glaube, das alles schließt die Zeit vor dem Essen aus.«
    »Das würde ich auch meinen.«
    »Der Sherry«, fuhr Wimsey bedächtig fort. »Es war eine neue, frisch geöffnete Flasche. Zum Verschwinden der Überreste wäre vielleicht etwas zu sagen, aber ich glaube, wir können dem Sherry die Absolution erteilen.«
    Mr. Urquhart machte eine ironische Verbeugung.
    »Die Suppe – davon haben auch Köchin und Dienstmädchen gegessen, und sie leben noch. Ich bin gewillt, die Suppe passieren zu lassen, und das gleiche gilt für den Fisch. Es wäre zwar leicht gewesen, eine Portion von dem Fisch zu vergiften, aber dazu hätte es der Kooperation von Hannah Westlock bedurft, und das würde meiner Theorie zuwiderlaufen. Theorien sind mir heilig, Mr. Urquhart, fast – wie Sie es nennen würden – ein Dogma.«
    »Eine fragwürdige Einstellung«, bemerkte der Anwalt, »aber unter den gegebenen Umständen will ich sie nicht anfechten.«
    »Außerdem«, sagte Wimsey, »wenn das Gift mit der Suppe oder dem Fisch verabreicht worden wäre, hätte es womöglich zu wirken angefangen, bevor Philip – ich darf ihn doch so nennen? – das Haus verließ. Wir kommen nun zu dem geschmorten Hühnchen. Mrs. Pettican und Hannah Westlock können dem Hühnchen ein gutes Gesundheitszeugnis ausstellen, glaube ich. Und es muß geradezu köstlich gewesen sein. Ich spreche als Mann mit reicher Erfahrung in gastronomischen Dingen, Mr. Urquhart.«
    »Das ist mir bekannt«, antwortete Mr. Urquhart höflich.
    »Und nun bleibt nur noch das Omelett. Etwas sehr Feines, wenn es richtig zubereitet und – das ist sehr wichtig – sofort gegessen wird. Eine reizende Idee, die Eier und den Zucker an den Tisch bringen und an Ort und Stelle zubereiten zu lassen. Übrigens, ich darf davon ausgehen, daß von dem Omelett nichts in die Küche zurückging? Nein, nein! So etwas Gutes läßt man nicht halbgegessen stehen. Da macht die Köchin besser für sich und ihre Kollegin ein neues. Niemand außer Ihnen und Philip hat von dem Omelett gegessen, dessen bin ich sicher.«
    »Sehr richtig«, sagte Mr. Urquhart. »Das brauche ich nun wirklich nicht abzustreiten. Aber Sie vergessen eben nicht, daß auch ich davon
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